: LESERINNENBRIEFE
Freiraum der Grauzone
■ betr.: „Kreuzberger Basis lässt sich nicht räumen“, taz v. 10. 2. 11
Ich bin ein unmittelbarer Anwohner der Liebig 14 und ich habe die Demonstration, Proteste, Ausschreitungen sowie das Polizeiaufgebot mitbekommen. Mich verärgert jedes Mal die Begründung der Besetzer, dass durch die Räumung ein schützenswürdiges alternatives Wohnprojekt oder eine selbstbestimmte Lebensart zerstört wird. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie begründen diese Menschen die Schutzwürdigkeit ihres Daseins? Welchem Zweck dienen sie?
Es gibt Vereinigungen, die sich dem ehrenamtlichen gemeinnützigen Engagement verpflichten. In ihrem Zweck richten sie sich an rechtsstaatliche Bedingungen. Jeder Kultur-, Sport- oder Umweltschutzverein zahlt Miete und Nebenkosten, sofern er nicht durch die Gunst von Befürwortern diese finanziert bekommt.
Die Bewohner argumentieren, dass ein Haus, welches sich zeitweise nicht in Benutzung befand, einen Freiraum bildet, den diese nutzen dürfen. Damit begeben die Menschen, die sich von der derzeit prägenden Gesellschaft augenscheinlich distanzieren wollen, in die Ungesetzlichkeit. Sie nutzen den Freiraum in einer gesellschaftlichen Grauzone, solange kein Eigentümer sein berechtigtes Interesse anmeldet. Solange sich niemand beschwert und sie nichts kaputt machen, warum nicht? Wenn er sein Eigentum wiederhaben will, erkennen sie ihm das Recht daran ab, Begründung: Selbstbestimmtheit, Alternativität.
Wenn man sich das bei Objekten, die keine Häuser sind, etwa einem Auto oder PC, vorstellt, begreift man, dass sich die Besetzer über entscheidende Fundamente unseres Staates hinwegsetzen. Wichtig genug kann den Besetzern und anderen ihr Zweck übrigens gar nicht sein. Wieso haben sie denn nicht früher versucht, ihr Gedankengut auf dauerhafte, sichere und rechtsstaatliche Weise wie über einen Kauf zu sichern, sondern erst dann, als ihnen klar wurde, dass jemand, der sich der Gesellschaft entsagen will, von ihr auch keine Unterstützung zu erwarten hat? Sollen die Exbewohner doch nun in der Nachbarschaft ihren Zweck kundtun und sich um die Finanzierung für ein anderes Haus oder Wohnungen starkmachen.
Nur wenn der Zweck ist, keine normale Miete zahlen zu müssen, habe ich kein Verständnis. Dafür arbeite ich zu stark daran, durch mein eigenes alternatives und selbstbestimmtes Leben als Teil der Gesellschaft diese nach meinen Vorstellungen konstruktiv und gewaltfrei zu prägen. MICHAEL SCHLÖTER, Berlin
Tasse in der Handtasche
■ betr.: „Was macht eigentlich … der Coffee to go? Viel Müll“, taz vom 25. 2. 11
Es geht auch anders, wie im Artikel dankenswerterweise beschrieben, aber eine Idee fehlte: Wenn Mensch sich dran gewöhnen könnte die eigene Tasse, am besten mit Deckel, bei sich zu tragen, dann hätte er immer seine eigene Kaffeetasse to go! Ich praktiziere das schon seit Jahren, und falls sie (die Tasse) mal nicht in meine Handtasche passen sollte, entschließe ich mich fürs gemütliche Kaffeetrinken im Sitzen. Übrigens ist es gar nicht so selten zu sehen, dass im Urheberland des „Coffee to go“, also in den USA, die Leute an ihrer bedeckelten Tasse im Vorbeigehen schlürfen. MECHTILD LUTZE, Berlin
Sichere Profitorientierung
■ betr.: „Plötzlich kam da ein Riese“, taz vom 21. 2. 11
Es ist ein Wunder und Armutszeugnis zugleich, dass (wohlgemerkt pazifistische) Wutbürger dem Bau eines Bahnhofs die Stirn bieten, niemand aber organisiert in Berlin für mehr Sicherheit auf den Straßen oder Bahnhöfen protestiert. Dass die Vernunft der Bürger ihr Widerlager in ihrer mürbe werdenden Toleranz und Geduld findet, scheint auch die NPD zu erkennen und ausnutzen zu wollen: 220 Rechtsextreme zogen zu einer Mahnwache zum Bahnhof Lichtenberg, dem Tatort des Verbrechens, das an den zwei Malern verübt wurde. Die Aufgabe der Politik ist es, starke Sensibilität zu entwickeln bei solch einem Versuch, dem schockierten deutschen Volk ausländerfeindliche, engstirnige Strukturen zu injizieren. Man muss nicht Wirtschaftsethik oder Moralphilosophie studiert haben, um zu erkennen, dass beim öffentlichen Nahverkehr nicht nur Pünktlichkeit, sondern vielmehr die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten ist. Wenn Petra Reetz, Sprecherin der BVG, sagt: „Der öffentliche Nahverkehr ist sicher“, so erwidert der Berliner: „Sicher sind nur Profitorientierung und Lohneinsparungen.“
Meine studierenden Bekannten, ehemalige Klientel der BVG, fahren allesamt mit dem Auto. Die Sanktion, täglich im Stau zu stehen und länger bei den Eltern zu leben, um sich ein Auto leisten zu können, nimmt der junge Berliner also für seine Sicherheit gern in Kauf. Kann sich ein grüner werden wollendes Berlin leisten, dass gerade junge Menschen die Luft mit alten Motoren verpesten, um der BVG zu entgehen? Und kann es sich die Justiz weiterhin leisten, mit jedem einzelnen Schlag und Tritt auf Berliner Straßen zu einer noch größeren Lachnummer zu mutieren? KEVIN TARUN, Berlin