: Psychokrücke Auto
■ betr.: „Fünf Naivitäten der Auto kritik“, taz vom 24. 5. 97, „Die Straße als Schlachtfeld...“, Lese rInnenbriefe, taz vom 2.6. 97
Kurt Möser hat der „rationalen“ Autokritik den Spiegel vorgehalten und ihr die blamable Ineffizienz ihres verkehrsplanerischen Ansatzes gezeigt: argumentativ sind die Planer der uneinsichtigen Masse turmhoch überlegen – doch wen kümmert's, die Zulassungszahlen steigen unaufhörlich, und die Autoindustrie brummt. Kein Wunder, daß wackere Vorkämpfer einer ökologischen Verkehrsplanung sich angegriffen fühlen.
Bei Brigitte Biermann hat Möser offenbar einen Nerv getroffen. Zum einen stimmt sie das alte apologetische Lied von den hilflosen Opfern einer üblen Verkehrspolitik an und nimmt „... viele Menschen, die zum Autofahren gezwungen werden, weil es keine Alternative gibt“, in Schutz. Frau Biermann sei darauf hingewiesen, daß zum einen die von ihr wohl gemeinte ÖPNV-Verödung ländlicher Regionen erst durch die massenhafte Entscheidung für das eigene Auto verursacht wurde, zum anderen ihre Klientel, würde sie sich wirklich zum Autofahren gezwungen fühlen, sich doch wohl sehr viel vehementer für eine deutliche Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs einsetzte. Biermann ist Mösers Analyse offenbar derart unangenehm, daß sie sogar eine „Glorifizierung“ von Autoreizen herausliest, die dort jedoch nirgendwo steht. Tatsächlich hat Möser etwas längst Fälliges getan, nämlich auf die kräftevergeudende Sinnlosigkeit hingewiesen, mit der immer noch gebetsmühlenartig einem längst gelangweilten Publikum die biologischen und physikalischen Folgen des Autoverkehrs vorgehalten werden. Und er zeigt den Weg auf, den eine effizientere Autokritik zu gehen hat: an die psychologischen Wurzeln des Autofahrens. Moser hat einfach recht damit, daß irrationale Motive bei weitem überwiegen. Brauchst du was zum Vorzeigen, plagt dich Frust in Betrieb oder Beziehung, soll die verhaßte Außenwelt nicht an dich heran – greif zum Auto! Wer's nicht glaubt, schaue sich nur an, an welche Kaufmotive die Autowerbung appelliert.
Eine Kleinigkeit hat Möser ausgelassen. Er erwähnt die zirka 10.000 Unfalltoten pro Jahr in Deutschland, ignoriert jedoch die Opfer der Abgase. Selbst konservative Schätzungen gehen für die Bundesrepublik von etwa 4.000 tödlich verlaufenden Fällen abgasbedingter Erkrankungen aus. Bei den Unfällen mag man der Automobilistenzunft noch zugute halten, daß sie im Regelfall ungewollt passieren. Ganz anders sieht es bei den Abgasen aus. Dank eines allgemein gestiegenen Bildungsniveaus und einer seit Jahren lebhaft geführten Umweltdiskussion kann selbst der letzte PS-Depp nicht mehr ernsthaft behaupten, er wisse nichts von der Gefährlichkeit des Zeugs, das er in die Atemluft pustet. Daraus folgt: Mösers äußerst breiter Konsens der autofreundlichen Wähler ist nichts als eine terroristische Vereinigung selbstsüchtiger Neurotiker, die durch den permanenten Gebrauch ihrer Psychokrücke Auto jährlich mehrere tausend Mitmenschen wissentlich umbringen. Hier könnte eine ökologisch orientierte Verkehrskampagne ansetzen: irrationaler Gebrauch des Autos wird sozial geächtet – die Anti-Raucher-Bewegung in den USA war mit dieser Methode bereits ziemlich erfolgreich. Frank Palm, Hannover
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