: Kubas verlegter Karneval
Der traditionelle Karnevalsbeginn fällt auf den 6. Januar, den Dreikönigstag. Der war für die nach Kuba verschleppten Sklaven ein besonderer Tag. Alle vier Jahre wählten sie an jenem Tag einen König aus der Mitte ihrer cabildos. Das waren geheime Vereine, in denen sich die Angehörigen eines afrikanischen Volkes zusammenschlossen. Angesichts der häufig aufflackernden Sklavenaufstände hielten es die Kolonialherren für ratsam, die Könige der cabildos mit großem Brimborium in ihren Palästen zu empfangen.
Die dreitägigen Zeremonien, die im 17. Jahrhundert begannen, hatten in den Augen der Spanier eine Ventilfunktion. Sie zeigten sich an diesen Tagen großzügig, beschenkten die Sklavenkönige mit Süßigkeiten oder Zigarren, und auch Goldmünzen wechselten den Besitzer, in der Hoffnung auf dessen Loyalität. Für einige Tage wurde die eigentliche Gesellschaftshierarchie auf den Kopf gestellt: die negros bembónes, die dicklippigen Neger, wie die Afrikaner von den Spaniern abfällig genannt wurden, ahmten in farbenprächtigen Phantasieuniformen und -kostümen die Tänze der spanischen und auch der französischen Kolonialherrschaften nach, nicht ohne die feinen Herrschaften dabei ein wenig blaß aussehen zu lassen.
Offiziell wünschten die Sklaven den Kolonialherrschaften mit ihren Darbietungen Glück, doch die Pantomimen, die man ihnen zu Ehren aufführte, sprachen eine andere Sprache. So wurde im „Tanz, um eine Schlange zu töten“, einer bedrohlichen Schlange nach langem zähen Kampfe der Kopf abgeschlagen – nur gibt es auf Kuba bis heute keine für den Menschen gefährlichen Schlangen. Auch die Darstellung von Ungeziefer oder Skorpionen ist wohl eher als versteckte Drohung an die Spanier zu verstehen.
Offizieller Karnevalsbeginn ist noch immer der 6. Januar. Aber da sich in Kuba fast alles um das Zuckerrohr dreht und der Dreikönigstag mitten in die Zeit der Ernte fällt, wo Millionen von Tonnen Zuckerrohr mit der Machete geschlagen werden müssen, wurde das Fest Anfang der 60er Jahre von der Regierung Fidel Castros auf die zweite Juli-Hälfte verlegt. Knut Henkel
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