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Mit Kreide geschrieben

Auch ungeliebte Kinder werden erwachsen: Seit Jahren ist die Kulturfabrik Lehrter Straße hauptsächlich damit beschäftigt, sich selbst zu retten  ■ Von Kolja Mensing

„Bier trinken. Theater retten. Welt auch.“ Ein Grundsatzprogramm, das in der Kulturfabrik an der Tür zum Theaterdock zu lesen ist. Das Ganze steht dort mit Kreide geschrieben, kann also zur Not auch wieder abgewischt werden. Falls sich die Prioritäten einmal ändern sollten.

Die Kulturfabrik (KuFa) an der Lehrter Straße ist seit der schleichenden Besetzung zu Beginn der 90er vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu retten. Das Haus lebt in einer Art Dauerprovisorium – geduldet, aber rechtlich nicht abgesichert. Die Betreiber haben die permanente Unsicherheit in fröhlichen Zweckpessimismus umgesetzt und produzieren munter- hoffnungslos inmitten der Moabiter Brachlandschaft Kultur: krudes Kinoprogramm, Ausstellungen von Herrn und Frau Unbekannt, Theaterexperimente. Der „Slaughterhouse“-Keller ist für Hardcore zuständig, und Bier trinkt man im angenehm heruntergekommenen Café Asbest.

Die Kulturfabrik ist im Jahre sechs nach ihrer Gründung an einem Wendepunkt angekommen: Eine schnelle rechtliche Absicherung wird anvisiert, und Veränderungen innerhalb der Fabrik stehen bevor – in den unmodern nach Alternativkultur riechenden Kasten sollen nach Willen des Betreibervereins Dienstleister und andere Profitprojekte Einzug halten. Das Sozialpädagogische Institut (S.P.I.) ist seit 1991 als Treuhänder für die Sanierung des Teils der Lehrter Straße zuständig, zu dem auch die KuFa gehört. Eine ganze Häuserzeile ist fertig herausgeputzt, blöckeweise neue Sozialwohnungen sind entstanden. Die Verantwortung für die Fabrik – mit deren Betreibern man nicht übereinkommt – will das S.P.I. allerdings wieder an den Bezirk loswerden. Nur hat man dort kein besonders großes Interesse an der Übernahme. Baustadtrat Horst Porath, der sich als Protektor der Kulturfabrik sieht, warnt: Wenn Fabrik und Grundstück nun an den Bezirk zurückfielen, werde die Finanzsenatorin sofort zugreifen – um den Besitz schnellstens zu versilbern. Ein zweifelhaftes Argument: Die Nachfrage nach Gewerbefläche ist in der verblassenden Boom-Town Berlin stark gesunken. Begehrt ist Moabit nicht mehr – ein schnieker Büroneubau am oberen Ende der Lehrter Straße steht leer, weiter unten wird Ladenfläche für zwölf Mark pro Quadratmeter angeboten.

Die Kulturfabrik ist ein ungeliebtes Kind. Doch auch ungeliebte Kinder werden erwachsen und nehmen ihr Schicksal irgendwann selbst in die Hand. KuFa-Geschäftsführer Uwe Henk möchte darum raus aus dem Hin und Her zwischen Bezirk und S.P.I. Stolz berichtet er von dem Finanzkonzept, das jetzt „in Arbeit“ sei: Das angestrebte Modell ist ein Erbpachtvertrag mit dem Bezirk. Beide Seiten sind sich da im Grunde genommen einig – beschuldigen sich allerdings gegenseitig der Widerborstigkeit und reden in puncto Geld aneinander vorbei: Unklar ist zum Beispiel, wie hoch der Erbzins ausfallen würde.

Dazu kommt, daß nicht allein die Pacht aufzutreiben wäre, sondern das Gebäude auch einer dringenden Sanierung bedarf: Das S.P.I. schätzte diese Kosten einst auf 5,7 Millionen Mark, den Fabriklern ist es inzwischen gelungen, eine eigene Rechung von 4 Millionen aufzumachen.

Der Verdacht liegt nahe, daß sich die Geschäftsführung bei der knappen Wunschkalkulation selbst belügt. Hinzu kommt die Ankündigung des Landesdenkmalamts, das Gebäude auf seine Liste zu setzen – um die ehemalige „Berliner Confitüren- & Cakes- Fabrik“ zu konservieren. In diesem Fall würden die Sanierungskosten massiv ansteigen. Vorschläge, woher das Geld für die Rohbausanierung kommen soll, fallen bisher recht dürftig aus: „Lottomittel“, schlägt Stefan Fürstenau, Vorstandsmitglied des KuFa-Vereins, vor, oder ein Kredit: „Da muß die Politik vermitteln helfen.“

Auf die laufenden Pachtkosten – wahrscheinlich rund 50.000 Mark pro Jahr – angesprochen, stellt Fürstenau den pragmatisch angehauchten Traum des Vorstands vor: Alternative Betriebe, Dienstleister aus dem Bereich Neue Medien und engagierte Kulturprojekte sollen sich die Fabrik teilen – und die Kommerzeinrichtungen bezahlen über höhere Mieten für die brotlose Kunst mit. Das Stichwort lautet „Querfinanzierung“.

Tatsächlich bewegt hat sich bisher nur etwas im Bereich des Nötigsten: Geschäftsführer Henk berichtet von Verhandlungen mit einer Brauerei, die möglicherweise eine Entlüftungsanlage für das von der Baupolizei dichtgemachte „Slaughterhouse“ sponsern wird. Über eine Heizung wird mit der Bewag verhandelt, und aktzeptable Toiletten sind für September versprochen: Zumindest wohnlich dürfte es in der KuFa also werden.

Sollte allerdings mit der Realisierung der Querfinanzierungsvisionen begonnen werden, könnte ganz schnell wieder ein kalter Wind durch die Fabrikräume wehen. Denn die gewerbliche Teilnutzung birgt die Gefahr, die Kunst im Hause nicht zu sichern, sondern zu verdrängen.

Zur Zeit ist noch alles umsonst: Der Bezirk duldete die KuFa bisher mietfrei, weil ein wenig kulturelles Angebot dem drögen Moabit ganz gut zu Gesicht steht. Die einzelnen Veranstalter im Haus können zur Zeit also zum Selbstkostenpreis anbieten, was immer sie wollen. Das ist Luxus, wie Günther Albien von der Kunsthalle weiß: „Ich mach' hier was für mich.“ Daß das Publikum lieber durch die Auguststraße schlendert, als den trödeligen Bus zur Kulturfabrik zu nehmen, kann ihm egal sein.

Auch das Theaterdock braucht niemandem Rechenschaft abzulegen. In Zusammenarbeit mit der Studiobühne der Freien Universität produziert man angestaubte Avantgarde oder angeschrägte Klassiker – gerade hatte Goethes „Iphigenie“ Premiere. Anything goes, oder auch nicht: Um Szene- Credibility schert man sich jedenfalls nicht.

Gut so. Noch gehört die Kulturfabrik zu den immer seltener zu findenden Orten, an denen Kunst ohne Rechtfertigung stattfindet: eine Luxus-Enklave. Wem's nicht gefällt, der kommt einfach nicht – darum ist es im Kino Filmrauschpalast oder im Theaterdock eben öfter mal leer. Die Kulturfabrik- Projekte zahlen den Preis der Freiheit mit einer gewissen Erfolglosigkeit, halten die eigenen Ansprüche aber konsequent niedrig: Hier mal eine ABM-Maßnahme, dort mal ein kleiner Subventionsbetrag – Peanuts.

Wenn das locker ausgerechnete Querfinanzierungskonzept allerdings nicht voll aufgeht, müßten die Kunsthalle, das Filmrauschpalast-Kino und das Theaterdock monatlich einige hundert Mark Miete zahlen – genauere Schätzungen gibt es freilich auch hier nicht. Ob sie diese Summe aufbringen könnten, ist allerdings fraglich. Der Geldhahn wäre aufgedreht, die Gewerbetreibenden hätten mehr Raum zur Verfügung, aber der Moabiter Kulturoase ginge das Wasser aus. Denn ob die ehrenamtlichen KuFa-Aktivisten Lust haben, sich für ein publikumsträchtiges Kommerzprogramm die Abende um die Ohren zu schlagen, ist fraglich. „Möglicherweise würde tatsächlich die eine oder andere Gruppe nicht mehr weitermachen“, gibt Geschäftsführer Henk zu. Besonders nachdenklich jedoch scheint ihn dieses Risikoszenario nicht zu machen.

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