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Zwischen den RillenVolxpop, Abgesang

■ Chumbawamba instandbesetzen die Charts, Attwenger nehmen das Akkordeon zurück

Man kann Chumbawamba eine Menge vorwerfen. Aber ganz bestimmt nicht, sie wüßten nicht, was sie tun. Und weil „Tubthumping“, die Single zum Album „Tubthumper“, momentan bei MTV und anderswo heftig rotiert, kann man ziemlich sicher sein, daß sie sich das vorher ausgerechnet und alle Konsequenzen bedacht haben. Die Sun hat die Band interviewt und der New Musical Express nur halb im Scherz gefragt, ob das Musikgeschäft diesen anarchistischen Anschlag überleben wird. Andererseits: In bestimmten Haushalten dürften ältere Veröffentlichungen bereits aussortiert werden.

Die ehemalige Wohngemeinschaft aus Leeds hat ein neues Level erreicht. Darüber reflektiert sie nicht singend auf dieser Platte. Aber wer sich die Mühe macht, das wie üblich reichlich beigegebene Material durchzulesen, das die Songs kommentiert, findet auch ein Zitat vom Cover von „Revolution“, ihrer ersten Single aus dem Jahre 1985, als Chumbawamba noch eine Punkband waren: „Die Revolution wird gebaut auf der Ausbreitung von Ideen und darauf, Menschen zu erreichen, weniger auf unserer Angewohnheit, Ghettos zu errichten, in denen wir stagnieren. Es hat keinen Zweck, schreiend außerhalb zu stehen.“

Seitdem haben sich Chumbawamba zur Dance-, zur Popband gewandelt, aber immer konsequent ihren ganz persönlichen Marsch durch die Musikinstitutionen verfolgt, auch wenn es all die Jahre manchmal so schien, als wäre ihre Haltung längst zur schicken Revoluzzer- Apathie verkommen und ihre Musik zur modischen Volxmusik für die desillusionierte Linke vom legalisierten Hausbesetzer bis zum steuerberatenden taz- Abonnenten. Genau das haben sie nun gemerkt, aus eigenem Antrieb beim Major-Label unterschrieben (der Vorgänger „Swinging With Raymond“ landete bei Virgin, weil ihr Indie aufgekauft worden war), damit ihren sicheren Status gefährdet, und das mit einer ziemlich sperrigen Platte. Zwar finden sich auch auf „Tubthumper“ (Cover siehe Foto) diese unverschämt pathetischen Melodien, die so nur sie sich trauen, aber allesamt wirken sie wie müde Zitate früherer Herrlichkeit.

So ist „One by One“ zwar eine jener typischen Chumbawamba-Balladen, deren Melodieführung sich an irische Folklore anlehnt, aber hier mit einem trocken programmierten Drum 'n' Bass-Rhythmus unterlegt. Ein Song wie „Outsider“ hat nur sechs Zeilen und fasert mit seinen technologischen Spielereien nach allen Enden aus. Es ist wieder mal mächtiger, poppiger Pop, es gibt fette Gitarren und Trompeten, jede Menge Samples und sogar ein wenig Jungle, wunderschöne Harmonies, natürlich Schimpfwörter, und auch die Botschaften sind dieselben geblieben.

Nur die Emphase früherer Tage, die findet sich fast nur noch auf der Single „Tupthumping“. Das bedeutet zwar „Aufhetzen“, ist ironischerweise aber ein Song vom Immerwiederaufstehen, der durch seine eindeutige Hitqualität als Käsestückchen entlarvt wird. Die Maus ist angelockt, die Falle schnappt zu, Chumbawamba instandbesetzen die Charts. Dazu haben sie mehr als zehn Jahre gebraucht. Wenn es so lange gedauert hat, weil sie Angst davor hatten, ihre Theorie von der Erosion durch Subversion in die Praxis umzusetzen, wird sich nun womöglich zeigen, daß diese Angst sehr berechtigt war.

Auch wenn Chumbawamba versuchten, Volksmusik neu zu definieren als Konglomerat aus populärer Musik mit Inhalten, die das Volk bewegen (sollten), haben sie doch nicht vergessen sich eine historische Absicherung zu verschaffen mit dem mehr oder weniger losen Rekurrieren auf Folktraditionen. Attwenger dagegen gingen immer davon aus, die originale Volksmusik ließe sich in ihrem subversiven Geist wiederbeleben, wenn sie mit Modernem angereichert würde. In ihrem Fall waren das HipHop oder auch Speed-Metal. Dieser Fall führte schließlich zu gewissem Erfolg, dann auch einem Film, dem aber gleich ein frustriertes Ende und die Trennung des oberösterreichischen Duos folgte.

Nicht mal ein Jahr später tat man sich wieder zusammen und stützt sich seitdem auf Drum 'n' Bass. So hieß es zumindest. Und tatsächlich ziehen sich durch „Song“ Dance-Beats, die allerdings viel zu gemütlich dahinfließen, um demnächst Roni Size Konkurrenz zu machen. Die Wörter sind weniger geworden, die Stücke auch, dafür sind sie aber meist um die 15 Minuten lang. Die Maultrommel tapst durch die Loops, aber das Akkordeon, früher dominierendes Attwenger-Instrument, ist merklich zurückgenommen und übernimmt fast ausschließlich rhythmische Aufgaben. Und auch die spärlichen Texte werden eingesetzt wie ein Motiv. So spricht es eher daher, als daß es rappt: „Weama song weama seng weama song.“

Man kann das übersetzen, man muß aber nicht. Das Spiel mit den Worten dient hier nur mehr dem Tanzen. Das aber ist schon lange nicht mehr so ekstatisch, weil die Infusion, die Attwenger vor Jahren der Volksmusik verabreichten, sich nicht zur Blutauffrischung auswuchs. Manche Sequenzen lassen noch einen Landler oder eine Polka oder ein Gstanzl erahnen, aber nur mehr als bläßliche Blaupause vergangener Verwegenheit. Nun haben sie den Volksmusik-Dub erfunden. Der klingt ganz anders als der Volkspop von Chumbawamba. Aber beides klingt ein wenig nach Abgesang. Thomas Winkler

Attwenger: „Song“ (Trikont)

Chumbawamba: „Tubthumper“ (EMI)

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