: Auf Big Poppas Begräbnis
Jede Menge Straßenglaubwürdigkeit: Kreuzberg trifft New York City und macht schwer einen drauf in Sachen Rap, Action und Streetlife – Zur „X-Culture“-Reihe mit Filmen aus Berlin und den USA im Eiszeit-Kino ■ Von Andreas Becker
Die Analogie mag konstruiert sein, aber sie beschert uns eine Reihe von Filmen, die man sonst nur – wenn überhaupt – in der Videothek finden würde. Zwei Wochen lang gibt's im Eiszeit Rap- und HipHop-Filme aus den USA und – aus Kreuzberg. Slogan: Rap, Action, Streetlife. Cross-Culture. Das erste Wort ersetze man durch ein X, und, schwups!, sind wir mitten im Bezirk mit dem Kreuz: Cross, äh: X-Berg. Überall Türken! Cool! Und schon sind wir in? New York – N.Y.! Überall Schwarze! Auch cool! Alles gehört zusammen! Und damit sind wir wieder in Kreuzberg, Eiszeit-Kino.
Über Kreuz sehen wir ab heute beispielsweise das Begräbnis vom selbsternannten Rap-Übervater. Zu „Big Poppas Begräbnis“ kommen jede Menge Polizisten, richtige N.Y.P.D. Cops, die mit den merkwürdigen Kaureflexzonen unter den zu großen Mützen. Die halten mit ihren immer irgendwie niedlich aussehenden blauweißen Holzabsperrgittern den trauerwilligen HipHop-Mob in Schach. In der fetten Limousine zu Grabe gefahren wird das zweite Opfer des in zahlreichen Songs erklärten Verbal-Rap-Krieges, der schon seit einiger Zeit auch mit echten Knarren ausgetragen wird. Und wo Notorious B.I.G. in der Limou straight to Hell tuckert, ist auch sein toter Gegner 2Pac (filmisch) nicht weit.
Spätestens seit „Gridlock'd“ haben wir den süßen, leider aber eben toten Zweierpack so richtig ins Herz geschlossen. Zwei Filme über 2Pac Shakur: eine Doku über „sein Leben und seinen Tod in den Straßen von Las Vegas“ inklusive eines Videos der Hotelüberwachungskamera von der Auseinandersetzung mit den Crips (L.A.-Gang). Und der Spielfilm Bullet: „2Pac als Drogendealer, Mickey Rourke als jüdischer Junkiegangster. Das war zu viel für Hollywood.“
Jede Menge Street-Credibility im Angebot. Nett und informativ ist ein Interview mit Herrn Ol' Dirty Bastard vom Wu Tang Clan („This shit is real“). Die zentrale Message lautet in etwa: „I'm original, and shit.“ Natürlich gibt's auch jede Menge Kritik am Big Business. Das alles wird, locker im Sofa hängend, dutzendfach paraphrasiert und bekommt durch das am Ende jeden Satzes durch die Goldschneidezähne dahingenuschelte „Yo know what'm say'n“ richtig Groove. Der Sound ist die Message. Zwischendurch fiepen die Handys, und ein paar Girlies müssen ganz schnell mal zum Airport, Leute abholen.
Zurück nach X-Berg, Streetlife- Abteilung. Neben einem Porträt der Band Islamic Force (siehe Artikel im überregionalen Kulturteil), „Wir sind stolz, Kanaken zu sein“, gibt es einen Film über den Boxer Oktay Urkal („Saduj“), der ein bißchen zu sehr auf verräucherte Boxkaschemmen und finstere Ausländerkriminelle als Gruselambiente setzt. Natürlich werden dem korrupten Boxpromoter und Experten für Beschißgeldwetten in Reservoir-Dogs-Brutaloart die Nasenwände aufgeschlitzt. Irgendwie übertrieben.
Ganz lustig und schwer innenstadtkritisch ist „Q-Damm Security“. Hier treibt ein junger Mann, der sich qua Eigengesetzgebung zum Kudamm-Eck-Sheriff ernannt hat, sein ordnendes Unwesen in dem inzwischen geschlossenen und abrißbereiten Gebäude gegenüber vom Kranzler.
Mein Lieblingsfilm ist „36 qm Stoff“ von Neco Celik. Das 45-Minuten-Werk hat eine ziemlich skurrile Entstehungsgeschichte. Finanziert wurde die Fake-Doku, in der es um Drogen geht, von der Wohnungsbaugesellschaft Bewoge. Die Firma hatte zunächst nur vor, irgendwas im „Problembezirk“ Kreuzberg zu sponsern. Die Naunynritze, Graffitizentrale und Anlaufstelle türkischer und anderer Jugendlicher, brauchte aber keine neue Sandkiste. Sondern Geld für Film. Neco Celik, 25, ehemaliger Graffitiartist und seit Jahren Sozialarbeiter in der Ritze, sah seine große Chance: „Ich war Regisseur, Drehbuchautor, ich hab' Produktionsleitung gemacht. Wir hatten nur 16.000 Mark.“ Um die Wohnbauleute von sich zu überzeugen, mußte Neco, den die Filmhochschule Babelsberg mit der Begründung ablehnte, er sei „zu hart drauf“, zunächst einen Drogen- Kurzfilm drehen. „Einen Anti- Drogen-Film hätte ich aber nie gemacht.“
Sein „36 qm Stoff“ ist eine frappierende Doku-Fiktion-Mischung, die nicht nur mit Journalisten abrechnet, die immer dumme Fragen stellen. Lauter Amateurakteure agieren in einem Film in Film- Konstrukt, das uns eine durchgeknallte Truppe präsentiert, die ein Junkiemädchen in blödester Sozialarbeitermanier (einmal sogar auf dem Friedhof, wo ihr toter Junkiefreund liegt) interviewt und dabei ständig in Streit gerät. Der Dealer kommt so realistisch rüber, daß man meint, den Film vor den Bullen verstecken zu müssen. Ein großes Werk aus einem kleinen Kiez.
Vom 16. bis 29.10. im Eiszeit-Kino. „36 qm Stoff“ und „Q-Damm Security“ am 19. und 20.10.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen