: Ausgezeichnete Zahlungsmoral
■ betr.: „Vergebt uns unsere Schuld“ (tazThema Geld und Ver sicherungen), taz vom 4./5.10. 97
Eure Darstellung des Handels und Wandels der Inkassobranche scheint einem Jahresbericht des BDIU (Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen) entnommen. Die tägliche Realität vieler SchuldnerInnen ist dabei ein wenig auf der Strecke geblieben. Die Aussage zum Beispiel, daß die Zahlungsmoral allerseits sinkt, ist eine Wertung, der ich mich nicht anschließen kann. Sehr viele überschuldete Familien verfügen über eine mehr als ausgezeichnete Zahlungsmoral, sogar wenn gar keine Mittel zur Verfügung stehen. Von dieser Moral profitiert die Inkassobranche.
Die vom BDIU gerühmten psychologischen Kenntnisse können mit einem Wort zusammengefaßt werden: Angst. In ihren Formschreiben und bei ihren Hausbesuchen versuchen die Unternehmen gezielt Angst vor Kreditunwürdigkeit, gesellschaftlicher Ächtung und sogar vor Inhaftierung zu erzeugen. Viele SchuldnerInnen, die nicht mit dem Zwangsvollstreckungsrecht bekannt sind, glauben tatsächlich, daß Schulden eine/n in den Knast führen können, was schlicht Unfug ist. Durch dieses Spiel mit der Angst schaffen es die Inkassounternehmen häufig, Haushalte, die von Sozialhilfe leben, zu Ratenzahlungen zu bewegen. In der Regel werden dadurch neue Schulden aufgebaut, so daß eine Entschuldung in weite Ferne rückt. Zudem verstehen es die Inkassounternehmen, die Ratenzahlungen so niedrig anzusetzen, daß ausschließlich auf die Zinsen gezahlt wird. Manche mir bekannte SchuldnerInnen zahlen bis zu 20 Jahre, ohne daß nur ein Pfennig getilgt wird. Für derartige Ratenzahlungsvereinbarungen werden in der Regel saftige Gebühren in Rechnung gestellt, so daß die Schulden zunächst zunehmen. Der Gläubiger, der seine Forderung an das Inkassounternehmen abgetreten hat, sieht von seinem Geld zunächst mal gar nichts, vielmehr muß er zunächst die Vollstreckungskosten verauslagen. Inkassounternehmen kassieren bei SchuldnerInnen und Gläubigern gleichzeitig, was wohl der entscheidende Grund ist für die guten wirtschaftlichen Perspektiven dieser Branche. [...]
Daß die Branche nicht auf Transparenz steht, ist nicht nur aus Imagegründen, wie die taz berichtete, verständlich. Besonders bedenklich ist die Bildung von Beitreibungskartellen zwecks Maximierung der Gebühren. Viele Großunternehmen im Versandhandel (neben den Banken die wichtigsten Gläubiger privater Haushalte) haben sich ein eigenes Inkassounternehmen zugelegt, verbunden mit einer hauseigenen Anwaltskanzlei. Die Forderung wird hin und her bewegt, je nach Zuständigkeit und Gebührenträchtigkeit. Das Versandhaus ist daran zwar vollständig beteiligt, erscheint den KundInnen jedoch nicht als „böser Gläubiger“. Der zitierte BDIU-Geschäftsführer Carsten Ohle ist zum Beispiel beteiligt an der Anwaltskanzlei vom Hause Otto, das wiederum mit dem größten Unternehmen auf dem Markt, dem Deutschen Inkasso Dienst (DID), liiert ist. Spezialität des DID ist u.a. der sogenannte freiwillige Schuldbeitritt, wozu PartnerInnen von SchuldnerInnen bei Hausbesuchen („ach, unterschreiben Sie eben für die Akte“) genötigt werden.
Daß Großunternehmen ihre Mahnabteilungen auslagern, ist zwar Praxis, die Geltendmachung der Kosten jedoch umstritten. Warum sollte ein Unternehmen die Beitreibung seiner Außenstände durch Außenstehende erfolgen lassen? Es gibt Beispiele von Banken mit eigenen Mahnabteilungen, die mindestens genauso erfolgreich sind ohne Gebührenrechnungen und Hausbesuche. Und wir sollten uns nicht täuschen lassen: die Tätigkeit von Inkassounternehmen betrifft weniger die Jungunternehmen als vielmehr die Alteingesessenen. Denn die Masse macht das Geschäft. Bis zu 300 Prozent Kosten und Gebühren bei Zehntausenden kleineren Forderungen bringen mehr ein als ein paar Knaller. Und gerade die Gebührenexplosion ist das, was Inkassounternehmen einfällt, wenn die Beitreibung zunächst erfolglos war. Unter dem Druck der sichtlich wachsenden Forderung – was SchuldnerInnen zwar nicht nachvollziehen können, aber aufgrund der sehr wohl vorhandenen Zahlungsmoral dennoch akzeptieren – werden schließlich kleine Raten angeboten, obwohl das Familienbudget das nicht hergibt. Überschuldung ist kein Privatproblem zwischen SchuldnerInnen und Gläubigern. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das sehr viel mit der Binnennachfrage zusammenhängt. Übrigens: ohne Familien, die auf Pump kaufen oder Verbraucherkredite aufnehmen, wäre die wirtschaftliche Lage noch schwieriger – auch für die betroffenen Unternehmen. Ronald Matthyssen,
Schuldnerberater, Bremen
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