Weihnachten Von Wiglaf Droste

Weihnachten ist der allerspäteste Termin, endlich den Winterschlaf anzutreten: Bevor es ganz furchtbar wird, zieht man den Stecker und geht vom Netz. Schlagartig und wohltuend erlischt das soziale Leben, und die Hölle der Kommunikation gehört denen, denen sie zukommt, den anderen.

„Verwandte“, schrieb Oscar Wilde, „sind Leute, die keine Ahnung davon haben, wie man leben soll, noch den Takt besitzen, zur rechten Zeit zu sterben.“ Darüber hinaus sind Verwandte auch Leute, die vergessen haben, daß es Hotelzimmer gibt. Wird man von Verwandten zum Weihnachtsbesuch genötigt und erpreßt, bestehen sie darauf, daß man bei ihnen hausen muß, wo man sich nahezu rund um die Uhr auf der Pelle hängt. Nur mit allergrößter innerer Ruhe im Gepäck kann eine Verwandtenweihnacht durchgestanden werden. Das zu Weihnachten turnusmäßig angestimmte Geschrei über weihnachtliche Bluttaten und Amokläufe ist ganz unverständlich; man muß sich im Gegenteil darüber wundern, daß es nur so wenige weihnachtsbedingte innerfamiliäre Massaker gibt – offenbar sind die Menschen doch weitaus friedfertiger und vor allem duldsamer, als ihnen gemeinhin und natürlich ganz besonders händeringend und eindringlich zu Weihnachten nachgesagt wird.

Und so öffnen denn auch viele wider besseres Wissen und von der dürren, trügerischen Hoffnung, daß es schon irgendwie gutgehen werde, allenfalls notdürftig zusammengehalten, ihre Pforte und lassen die Verwandtschaft ins Haus. In großer Stückzahl ist sie erschienen, damit die Freude auch eine ungeteilte bleibe. Mit sich schleppt der amorphe Verwandtenhaufen tonnenweise Mundvorrat, also Essen, weil es ja sonst nichts gäbe. In kürzester Zeit platzt der Kühlschrank aus den Nähten, und die gesamte Wohnung riecht nach jenen regionalen Spezialitäten, vor denen man 20 Jahre zuvor aus gutem Grund weit weggelaufen ist. Je länger die Invasion dauert, desto unangenehmer werden die Worte, die einem ganz unverhofft in den Sinn kommen: Sack und Pack, Bandenwesen, Einquartierung, bedrohter Lebensraum, und in seinen Träumen sieht man sich schon wie Jack Nicholson in „Shining“ herumschleichen: Die Axt im Haus erspart den Psychologen...

Mit all dem hat der Winterschläfer nichts zu tun. Als eine Art Hilfsbär hat er sich in seine Höhle verzogen, wo er ratzt und brummt. Daran tut er sehr gut, und sonst tut er nichts; allenfalls noch wärmt er eine fröstelnde Frau, denn Frauen, das haben amerikanische Wissenschaftler herausgefunden, frösteln oft arg. Also verwandelt sich der Winterschläfer in einen kleinen Ofen und bullert nach Kräften, denn er weiß, daß ein Mann, der etwas taugt, eine Wärmflasche mit Ohren ist.

Draußen aber, weit entfernt, toben die Weihnachtskriege; manche Familien sind immerhin so rücksichtsvoll und einsichtig, sich ein wenig zu dezimieren. Der Winterschläfer aber träumt einen Witz: Was ist der Unterschied zwischen Verwandten und anderen Terroristen? Die anderen Terroristen haben Sympathisanten.

P.S. Wie alles anfing

Im Esel steht ein Stall

Im Ochsen wächst ein Kind –

Ob das Maria, Joseph

und Jesus Christus sind?