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Keiner bewegt sich

Champions League: Nichtangriffspakt in der Schlußphase bugsiert Leverkusen und Monaco ins Viertelfinale  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – Man kann eine Menge planen als Fußballverein. Ein Schmuckkästchenstadion mit hohem Popcorn-Unterhaltungswert. Teure Logen hinter Glas. Lustige, identitätsstiftende Maßnahmen für die Besucher wie Luftballons steigen lassen oder farbige Plakate zu Gesamtkunstwerken hochhalten. Auch der Aufbau eines richtig guten Kaders ist kein Zufall, wenn es einen Manager gibt, der zum Bespiel Reiner Calmund heißt, und einen Trainer Christoph Daum, der daraus in „leidenschaftlich harter Arbeit“ eine erfolgreiche Mannschaft formt.

So wird man Vizemeister, wo man in der Vorsaison noch „mit einem Bein in der zweiten Liga“ (Calmund) gestanden hat. So ist man in 30 Pflichtspielen ungeschlagen im Haberlandstadion. Hier, wo Menschen aus gepflegten Stadthäusern Ekstase üben. Etwa indem sie beflissen versuchen, „Steht auf, wenn ihr für Bayer seid“ umzusetzen. Nicht, daß ein halbes Jahrhundert Traditionsvorsprung des FC Schalke 04 wettzumachen wäre, aber alle geben sich redlich Mühe.

Und so steht Bayer 04 Leverkusen am Abend des 10. Dezember 1997 an der Schwelle zum zweitgrößten Vereinserfolg seit dem Gewinn des Uefa-Cups vor neun Jahren. Und dann das: Ein Gijón in 3:37 Minuten. Nach all der Hingabe, nach all der Demonstration effektiven bis beeindruckenden Fußballs in fünf von sechs Champions-League-Spielen hat plötzlich keiner mehr Freude am fachmännisch geplanten, hart erarbeiteten, leidenschaftlich ersehnten Erreichen des Ziels. Bayer Leverkusen qualifiziert sich durch ein 2:2 gegen den AS Monaco fürs Viertelfinale der europäischen Elite, und doch können beim Schlußpfiff die Spieler gar nicht schnell genug in die Katakomben gelangen. Kein Armehochreißen, keine Stadionrunde, keine Hymne über die Lautsprecher, kein Bauchrutscher vor den Fans. Trikottausch, gesenkte Köpfe, und nichts wie weg.

Waldemar Hartmann, für die Champions-League-Heimspiele angeheuerter Conférencier, kommt gegen die Pfeifenden nicht an mit seinem Appell: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Dabei hat er nichts als recht. Zunächst haben sowohl der Gast und Gruppenerste, AC Monaco, als auch der Gastgeber und Gruppenzweite, Bayer Leverkusen, ordentlich gespielt und je zwei Tore geschossen. Erst danach opfern beide Seiten den Anspruch, Fußball zu spielen, der Idee, die Qualifikation zu schaffen. Werden etwas gebremster. Dann noch träger. Und als das Remis, das beide glücklich machen würde, noch sechs Minuten zu halten ist, bewegt sich keiner mehr. Erst ein Minütchen Pingpong an Monacos Strafraum. Dann ein meditatives Querpaßspiel zwischen Beinlich, Wörns und Nowotny an der Mittellinie. Hüben wie drüben will das keiner mehr stören, 3:37 Minuten lang. Die Fans singen: „Wir wollen Fußball sehen.“ Die Tribünen leeren sich. Niemand sagt den Enttäuschten und Pikierten, daß zu diesem Zeitpunkt Leverkusen oder Monaco beim nächsten Gegentor ausgeschieden wären, da Juventus Turin und Rosenborg Trondheim dann als bessere Gruppenzweite weiterkämen.

Man sieht ein Spiel – und um es zu begreifen, muß man lauter andere mitdenken. Von denen man aber nichts weiß. 22.500 Menschen sehen ein Fußballspiel – und keiner weiß, was der Spielstand bedeutet. Nur die Spieler wissen es, weil es Vereinsangehörige gibt, die mit Handy und Generalplan die Trainerbank bestürmen. Die Botschaft ist: Wenn jetzt nichts mehr geht, geht alles gut. Es bedürfte eines Stadionsprechers, der das erklärt. Aber das passiert nicht. Diese letztminütliche Konstellation, sagt später ein erschöpfter Christoph Daum, „war nicht in unserem Programm“.

Für einen Verein, dessen Domäne perfekte Planung ist, ein sehr bedauerlicher Planungsfehler. Mittwoch, der 10. Dezember 1997, geht als der traurigste erfolgreiche Tag in die Vereinsgeschichte ein.

AS Monaco: Barthez – Djetou (9. Diao), Irles, Dumas, Pignol – Sagnol, Legwinski, Collins (59. Henry), Benarbia (63. Carnot) – Ikpeba, Trezeguet

Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Beinlich (29.), 2:0 Meijer (57.), 2:1 Pignol (63.), 2:2 Henry (81.)

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