Press-Schlag: „Dramatisch berührt“
■ Israels Schwimmer beklagen sich in Perth über angebliche australische Ressentiments
Der Kampfrichter, der anzeigte, daß Mickey Halika bei der Schwimm-WM im australischen Perth über 400 Meter Lagen der Männer einen unerlaubten Delphin-Beinschlag tätigte, war ein Australier. Mickey Halika aber ist nach Meinung der liberalen Tel Aviver Tageszeitung Ha'aretz die „israelische Hoffnung“. Im Vorlauf war er Elfter, und „unserer Meinung nach“, gab ein israelischer Funktionär zum besten, „hätte er das B-Finale gewonnen“.
Weil der Kampfrichter, der Israels Hoffnung am Dienstag disqualifizierte, ein Australier ist, gab Pini Peled, der Chef der israelischen WM-Delegation, eine Presseerklärung heraus, in der die Entscheidung als Racheakt der Australier bezeichnet wurde. Der Kampfrichter habe Vorurteile gehegt und bewußt dem Schwimmer einen reingewürgt. Grund dafür sei, daß man in Australien den Israelis bis zum heutigen Tage vorwirft, ein Unglück, das sich im Sommer letzten Jahres bei der Makkabiade ereignete, schludrig aufgeklärt zu haben.
Beim Einmarsch zur Eröffnungsfeier in das Nationalstadion von Ramat Gan, einer Stadt nahe Tel Aviv, gingen 370 Mitglieder der australischen Mannschaft über eine provisorische Brücke, die ins Stadion führte. Das erst wenige Tage zuvor fertiggestellte Gebilde aus Holz und Aluminium stürzte ein, und etwa 100 australische Sportler fielen sieben Meter tief in den Fluß Jarkon. 64 Sportler wurden dabei verletzt, und zwei Athleten starben sofort. In den Tagen danach starb eine weitere Sportlerin, und Anfang Oktober verschied noch ein Teammitglied.
Nur eine Sportlerin starb an den unmittelbaren Folgen des Brückeneinsturzes, die anderen drei erlagen den Vergiftungen, die sie sich im völlig verschmutzten Jarkon-Fluß zugezogen hatten. Angehörige von Opfern, australische Makkabi-Funktionäre und Mitglieder australischer jüdischer Gemeinden werfen den israelischen Behörden vor, daß sie die Untersuchung lange Zeit verschleppt hätten und daß sich die Anklage, die auf Druck der Australier endlich am 30. November erhoben wurde, nur gegen den Brückenarchitekten, zwei Bauunternehmer und den Vorsitzenden des örtlichen Vorbereitungskomitees richte, nicht aber gegen die Verantwortlichen für den verdreckten Jarkon und nicht gegen hochrangige Makkabi-Funktionäre.
Der Vater einer 15jährigen Tennisspielerin, die bis heute im Krankenhaus liegt, will sogar eine Initiative starten, die von einigen jüdischen australischen Olympiateilnehmern unterstützt wird, Israels Teilnahme an den Olympischen Spielen 2000 in Sydney zu verhindern. Die gereizte Stimmung bei den etwa 100.000 Menschen zählenden jüdischen Gemeinden Australiens beschäftigte auch schon das israelische Parlament.
Zwei Knesset-Abgeordnete, eine von der linken Meretz-Partei, eine vom rechten Likud, berichteten dort von Bestrebungen, dafür zu sorgen, daß jegliche australische Unterstützung für Israel eingestellt werde, wenn die Behörden nicht endlich nach den wahren Schuldigen für die Katastrophe suchten. Der Präsident der Australischen Zionistischen Föderation, Ron Weiser, sprach gar davon, die Beziehungen zwischen Israel und den australischen jüdischen Gemeinden seien „dramatisch berührt“.
Daher, so argumentieren einige israelische Schwimmer, sei auch der Kampfrichter am Beckenrand nicht frei von Ressentiments gewesen. Im Grunde, so der israelische Funktionär Noam Tzvi, habe der disqualifizierte Halika doch nur das getan, „was wir alle tun“, bei der Wende vom Rücken- zum Brustschwimmen nämlich noch einen Delphinbeinschlag ausgeführt.
Teamchef Pini Peled aber, der mit seiner Presseerklärung für eine „angesäuerte Atmosphäre“ bei den Gastgebern sorgte, wie die Jerusalem Post schrieb, hat nach Betrachtung des Videobands eingeräumt, man könne die Entscheidung des Kampfgerichts vertreten. Soviel differenzierter Realismus nutzte dem Rest des kleinen Teams allerdings nichts: Israels zweite Hoffnung, der Vize- Europameister über 100 Meter Rücken, Eitan Urbach, belegte gestern nur Platz sieben. Martin Krauß
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