: Das Anti-Baumarkt-Programm Von Dietrich zur Nedden
Die meisten Ideen, den Standort Randlage Deutschland zu retten, taugen nicht, sind das Papier nicht wert, das sie duldet. Die brauchbaren Innovativgedanken handlungsbedarfsorientierter Politik wiederum werden von der Öffentlichkeit hinterrücks nicht zur Kenntnis genommen, so wie der Perspektiv-Antrag des SPD-Ortsvereins Visselhövede für den Parteitag in Hannover. Die kompetenzstreitsüchtigen GenossInnen aus dem norddeutschen Hinterland formulierten zwar eine schlüssige Bündelung übergreifender Maßnahmen, die das Plenum, noch unversammelt, allerdings schon im Vorfeld abgeschmettert und weggebissen hatte. Aus Angst vor der Bild-Zeitung, wie aus schnöde zufließenden Quellen zu vernehmen war. Wir geben eine Zusammenfassung der vollinhaltlichen Vorschläge, die endlich einen entscheidenden und zahlbaren Aufwärtstrend auf dem deutschen Arbeitsmarkt ratifizieren würde.
Nach dem Regierungswechsel in Bonn werden zum 1. Januar 1999 in Bonn 9.394 Baumärkte mit mehr als 30 Quadratmeter Verkaufsfläche geschlossen. Obi, Bauhaus und Hagebau, Götzen, Praktiker und Max Bahr – alle werden dichtgemacht, ihr Vermögen der Bundeskasse gutgeschrieben. Ikea? Natürlich auch. Der dadurch entstehende Verlust von insgesamt 18.788 Arbeitsplätzen (meist 610-Mark-Jobs) wird mehr als wettgemacht durch den konsumistischen Schub, den das Handwerk dadurch zwangsläufig aushalten muß. Flankierend geben die solidarischen BürgerInnen alle ihre Bohrmaschinen und Akkuschrauber bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle ab. Entsprechende und eindeutige Geräusche aus der Nachbarwohnung nach 16.30 Uhr darf man zur Anzeige bringen, muß es sogar. Das wird wie ein Ruck durchs Land gehen. Dann kann zwar das Aufhängen der Wohnzimmerlampe mit An- und Abfahrt schon mal 93,85 Mark kosten, aber erstens hält der Dübel dann sofort und letztlich ewig, und zweitens hilft das der Binnenwirtschaft insgesamt und gewissermaßen prophylaktisch sowieso. Die Glühlampe allerdings bleibt außen vor, die darf jeder weiterhin selbst reindrehen. So kleinlich sind die Sozis nicht.
Insgesamt bringt das schon mal mehr als 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze. Weitere drei Millionen verspricht der zweite Teil des Forderungskatalogs zur Förderung des Dienstleistungssektors.
Beim Renovieren und besonders beim Eigenheimbau dürfen nur noch Verwandte ersten und zweiten Grades helfen, bis die Bude schlüsselfertig ist. Übrigens ist die Baugrube nachher immer noch groß genug für die Ziele, welche die Erbengemeinschaft verfolgt. Alles andere wird unter Schwarzarbeit storniert und ist verboten. Einzelkinder haben Pech, können die Kosten aber bei ihren Eltern gerichtlich einklagen.
Mittelfristig stehen sogar Fensterputzen und das Flicken vom Fahrradschlauch zur Disposition. Um der Sache willen nimmt das Volk den Antrag radikal, trotz Wenn und Aber an. Es geht nicht anders. Las cosas de la vida. Comprende? Die gute Nachricht zum Schluß. Wer die schöne Tradition der Hausmusik pflegt, kann mit Steuervorteilen bei der Anschaffung der Instrumente rechnen. Ausgenommen sind nur Tuba, Ventilposaune und Bratzgitarre. Auch nicht schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen