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"Eine Abwesenheit von Distanz"

■ So aufwühlend wie der Zustand des Verliebtseins: Der Regisseur Jacques Doillon über das Kino der Gefühle, das Drehbuchschreiben und über seine Arbeit mit Schauspielern. Sein Film "Trop (peu) d'amour" läuft h

Jacques Doillon beherrscht die leisen Töne und das Pathos der Leidenschaft. Seit über 20 Jahren und in noch mal so vielen Filmen berichtet er behutsam vom Wandel der Gefühle bei seinen Figuren, erzählt vom emotionalen Chaos, das den Übergang von Kindheit zum „Erwachsensein“ begleitet. Doillons „Le petit criminel“ wurde 1991 auf der Berlinale ausgezeichnet. Sein neuer Film „Trop (peu) d'amour“, „Viel (zuwenig) Liebe“, erzählt die Geschichte der unerwiderten Liebe eines jungen Mädchens zu einem Regisseur.

taz: Monsieur Doillon, wie würden Sie Ihre Filme beschreiben?

Jacques Doillon: Seltsamerweise habe ich das Gefühl, ein sehr primitives Kino zu machen. Es ist die permanente Suche nach der Emotion, nach der Wahrheit in einer Szene oder in einem Menschen. Seltsamerweise wird nicht genug bemerkt, wie geradeaus dieses Kino eigentlich ist. Statt dessen wird es als ein schwieriges, unzugängliches Kino rezipiert. Ein Mann, eine Frau, zwei Menschen miteinander – das ist eben alles sehr kompliziert! Ich kann diese Strukturen oder Situationen in meinen Filmen nicht vereinfachen.

Wann begannen Sie sich für das Kino zu interessieren?

Als Kind nahm mich meine Mutter oft mit ins Filmtheater. Wir sahen Western oder Actionfilme mit Gary Cooper, James Stewart oder Gregory Peck. Erst mit 15 entdeckte ich, daß Kino auch etwas anderes sein kann als das, was Hollywod in die Welt schickt. Auf meinem Gymnasium gab es einen Filmkursus. Hier sah ich Filme von Dreyer, Fellini und vor allem von Mizoguchi. Diese Vorführungen waren für mich emotional so aufwühlend wie der Zustand des Verliebtseins in einen anderen Menschen. Man kann diese Emotionen durchaus miteinander vergleichen. Es war also möglich, sich in einen Film wie in einen Menschen zu verlieben. Diese Erkenntnis hatte auch etwas Erschreckendes. Einmal sah ich einen Film von Dreyer und war anschließend unfähig, mich zu erheben. Ich brauchte lange Zeit, um wieder so viel Kraft in meinen Beinen, in meinem Körper und in meinem Gehirn zu spüren, daß ich den Kinosaal verlassen konnte. Es scheint sich für mich, entgegen den Behauptungen der Kritiker, aus jenen Jahren der emotionalen Kinoerlebnisse bis in meine eigenen Filme hinein eine Abwesenheit von Distanz erhalten zu haben. Meine Reaktionen oder meine Affekte beim Filmen sind noch immer so spontan und direkt wie damals, als ich selber im Kino saß.

Wo sehen Sie sich selbst als Künstler im großen Text der französischen Kultur, in dem Kino, Literatur und Philosphie aufs engste miteinander verknüpft zu sein scheinen?

Ich schreibe Dialoge, ich engagiere Schauspieler, ich stelle Filme her. Aber ist ein Regisseur ein wirklicher Künstler? Das hängt natürlich von der Qualität der Filme ab. Künstler und Kunst sind Begriffe, die ich bei anderen verwende, aber nicht für mich und meine Arbeit reklamiere. Das mag man nun Hochmut oder auch Bescheidenheit nennen, keine Ahnung. Vielleicht sind mir andere Künstler zu fremd. Ich lasse junge Schauspieler, Kinder und Jugendliche im Licht der Scheinwerfer agieren – als Amateur. Wenn ich auch die Bezeichnung Künstler nicht mag, den Amateur lasse ich gelten.

Welche Persönlichkeiten aus dem Filmmetier sind wichtig für Sie gewesen?

Ich fühle mich dem französischen Kino und seinen Regisseuren nicht sehr verbunden, doch es gibt eine Ausnahme, und das ist Jean Vigo. Mit Anfang 20 drehte er seine Filme „Apropos de Nice“, „L'Atalante“ und „Zero de Conduite“. Hätte er länger gelebt, wäre er einer der ganz großen Regisseure geworden, wenn nicht der größte in Frankreich. Die Nouvelle Vague bezieht sich auf Jean Renoir. Renoir war ein stiller, gelassener, vielleicht sogar gütiger Mensch. Aber er war mir nie nah. Bei Vigo spüre ich etwas Fiebriges, mit dem ich mich identifizieren kann.

Wie geht das Schreiben für einen Film vor sich?

Ich schreibe keine Drehbücher, sondern skizziere Fragmente von Dialogen und setze sie anschließend zu einer Collage zusammen. Dabei stellt sich das Problem, wie ich mit Hilfe dieses chaotischen Puzzles den Schauspielern Material an die Hand gebe und sie damit so erfinderisch und kreativ umgehen, daß sie gewisse Ideen vermitteln und dies gleichzeitig mit einer Sensibilität für das Unerwartete tun können. Es sollte ihnen im glücklichsten Fall der Improvisation mit einer Geste der Überraschung gelingen, den Text wiederzuerfinden. Genau diese diffizile Mechanik in Gang zu bringen beschäftigt mich zu Beginn eines jeden neuen Filmprojektes. Wie balanciere ich das labile Verhältnis zwischen den Wörtern, den Schauspielern und der Improvisation, ohne es lediglich formal zu meistern? Wie bringe ich den Text durch die Schauspieler zum Schwingen, wie macht er mich staunen?

Sie sind als Regisseur bei Schauspielern sehr beliebt...

Schauspieler interessieren mich als Menschen, mit denen ich mich auseinandersetzen kann, mit denen ich mich konfrontieren möchte. Konventionelle Begegnungen, die vorgefaßte Erwartungen erfüllen oder in welchen man Blaupausen von Personen vorgeführt bekommt, sind banal. Ich möchte in meinem Gegenüber eine Bewegung, eine individuelle Geschwindigkeit erkennen. Wenn es mir gelingt, diese auszumachen, sie nicht wieder zu verlieren und bis zu ihrem Ende zu verfolgen, bin ich der glücklichste aller Menschen. Interview: Janine Fiedler

Wettbewerb: heute 17.30 Uhr, Zoo Palast; 14.2., 9.30 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, Urania; 22.30 Uhr, International

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