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Nicht mehr verwendungsfähig

■ Jean-Paul Sartres „Schmutzige Hände“ oder das historische Dilemma der Kommunisten angesichts der Machtergreifung

Kann man Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“ in der Weise aktualisieren, daß man dem Drama ein zweites, den Krieg in Bosnien-Herzegowina, überstülpt? Frank Castorfs Inszenierung in der Berliner Volksbühne identifiziert die Szenerie des Zweiten Weltkriegs mit der der frühen 90er Jahre in Sarajevo, die Kommunistische Partei mit den serbischen Nationalisten, Sartres Parteisekretär Hoederer mit Radovan Karadžić. Mit diesem Akt extremer Gewaltanwendung macht es Castorf dem Publikum fast unmöglich, die ursprünglichen Koordinaten des Ideendramas zu verorten.

Sartres „Illyrien“ synthetisiert die politische Landschaft mehrerer Balkanstaaten während des Zweiten Weltkriegs. Mit Stalingrad ist die militärische Wende schon zu Beginn des Stückes vollzogen. In Frage steht jetzt, ob die Kommunistische Partei einer nationalen Front beitreten soll, die die Kräfte der Kommunisten, der prowestlichen Bourgeoisie und des ursprünglich pronazistischen Regenten zusammenfassen soll.

In Sartres Stück tritt der Parteisekretär Hoederer für genau diese Lösung ein, während eine Fraktion der Kommunistischen Partei die nationale Front als Verrat an der Sache des Proletariats ansieht und beschließt, den Verräter zu liquidieren – mit Hilfe des jungen Intellektuellen Hugo, der sich durch diese Tat seiner bürgerlichen Herkunft entledigen will. Die Pointe: Nachdem Hugo Hoederer erschossen hat – und dies keineswegs aus politischen Motiven –, geht die Partei auf die Positionen des Ermordeten über. Hugo, vorfristig aus der Haft freigelassen, soll nach dem Willen seiner Genossen seine Tat leugnen. Er weigert sich und läßt sich von den eigenen Genossen liquidieren. „Nicht mehr verwendungsfähig.“

1948, als Sartres Stück uraufgeführt wurde, spaltete sich das sozialistische Jugoslawien, das gerade ohne die Bildung einer nationalen Front ausgekommen und unter kommunistischer Führung den Sieg im Befreiungskampf errungen hatte, von der Sowjetunion und vom „Weltfriedenslager“ ab. Diejenigen sozialistischen Balkanstaaten aber, die dem Kurs der „nationalen Front“ gefolgt waren, gerieten in politische und ökonomische Abhängigkeit vom „Großen Bruder“. In der Realität wäre der Parteisekretär Hoederer nicht 1943 liquidiert worden, sondern eben 1948, als alle Spuren eines „nationalen Wegs“, also auch der der Nationalen Fronten, getilgt wurden.

Für Hoederer wie für Hugo geht es in Sartres Drama um die Frage, wem man vertrauen soll. Vertrauen in den objektiven historischen Prozeß, in dessen Vollzug man sich die Hände beschmutzen muß, wie Hoederer meint? Oder Vertrauen in die Ideen, für die man sich einmal entschieden hat, wie Hugo meint. In das objektive Klasseninteresse derer, die die Not zu den Kommunisten treibt oder in die Bündnispartner, aber auch in Menschen wie Hugo, das abtrünnige Kind der Bourgeoisie.

Für uns wirkt Sartres Drama heute obsolet angesichts des doppelten Vertrauensverlusts in die Geschichte wie in die freie Aktion des einzelnen. Darüber kann uns Castorfs Potpourri aus der Musik von „Underground“, aus Vergewaltigungsberichten und delirierenden nationalistischen Kommuniqués der Serben allerdings nicht hinwegtrösten. Christian Semler

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