: „Viel Lärm um nichts“
■ betr.: „Ein bißchen Frieden statt ein bißchen Wahlkampf“, taz vom 9.3. 98
Mit dem knappen Parteitagsbeschluß gegen eine Teilnahme der Bundeswehr an „friedenserzwingenden Maßnahmen“ scheinen sich die Grünen wieder einmal selbst im Weg zu stehen. Das muß nicht das letzte Wort sein, wenn Partei- und Fraktionsführung ihren Blick endlich auf überholte Strukturen in der Bundeswehr lenken und sich zu konkreten Reformforderungen durchringen.
1. Wer Streitkräften als Kampfauftrag das Auseinanderhalten von Bürgerkriegsparteien und nicht ihre Überwindung oder gar Vernichtung zum Ziel stellen will, muß sie materiell zur Umsetzung befähigen. Daraus folgt: Die Grundausbildung für Wehrpflichtige und Zeitsoldaten bei der Bundeswehr müßte neben der obligatorischen militärischen Ausbildung auch ein hinreichendes, gewaltfreies Konfliktlösungstraining umfassen. Eine derartige Reform der Grundausbildung würde nebenbei die Attraktivität der Bundeswehr für rechtsradikale Spinner herabsetzen helfen.
2. Das Prinzip „Befehl und Gehorsam“ ist in militärischen Angelegenheiten notwendig. Dieser Umstand verführt Vorgesetzte dazu, ihre Kommandogewalt mißbräuchlich zur Menschenführung anzuwenden. Warum fordern die Grünen an dieser Stelle nicht, nach dem Vorbild der Betriebsräte in der Wirtschaft, die Einführung einer Mitbestimmung der Mannschaften in allen personellen Angelegenheiten. Die Befugnisse bzw. Möglichkeiten der/des Wehrbeauftragten haben sich für dieses Aufgabenfeld längst als unzureichend herausgestellt.
3. Einführung eines gesellschaftlichen Vetorechts, wahrzunehmen vom Bundestag, gegenüber allen Offizieren, die antipluralistisches Denken oder Handeln auf ihre Fahnen schreiben. Es kann nicht angehen, daß die zivile Gesellschaft tatenlos mitansehen muß, wenn zum Beispiel ein Generalmajor das Bundesverfassungsgericht in die Nähe des Volksgerichtshofs rückt und der anschließende Kontakt mit dem Bundesverteidigungsminister ausgeht wie das Hornberger Schießen.
4. Gesetzliche Festlegung derjenigen Inhalte, die Gegenstand des politischen Unterrichtes in den Kasernen zu sein haben. (Rechte und Pflichten des Soldaten, darunter das Recht auf Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen, die Rolle der Wehrmacht usw.) Kristan Kossack, Minden
Die Grünen haben sich für den Wechsel schick gemacht. Das Parteiprogramm ist nahezu von allen Positionen gesäubert, die dem hierzulande herrschenden Mainstream widersprechen. Nur einmal patzte der Parteitag beim realpolitischen Abitur. Linke und pazifistisch orientierte Delegierte stimmten gegen Militäreinsätze der Bundeswehr. Die polierte Parteifassade hat noch einmal von der Mehrheit einen Kratzer bekommen.
Die Fraktions- und Parteispitzen sind schwer empört über diese Unbotmäßigkeit. Tatsächlich hat sich aber nichts Grundlegendes geändert. Denn bisher hat sich noch jeder grüne Parteitag gegen Militäreinsätze ausgesprochen.
Mit gleicher Regelmäßigkeit hat sich die Bundestagsfraktion über diese Parteitagsbeschlüsse hinweggesetzt. So begrüßenswert der Beschluß von Magdeburg auch sein mag, er ist nicht das Papier wert, auf dem er steht. Die Fraktion wird im Sommer voraussichtlich mit deutlicher Mehrheit dafür votieren, den Bundeswehreinsatz in Bosnien fortzusetzen.
Die ganze Aufregung der Parteiprominenz kann man also unter dem Motto „Viel Lärm um nichts“ abhaken. Dierk Kieper, Darmstadt
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