: Immatrikulationsfeier fast ohne Studierende
■ Verklärender Rückblick auf karge Anfänge tröstet die FU über die Nöte von heute hinweg
Das waren noch Zeiten. Die GründungsstudentInnen der FU arbeiteten „Tag und Nacht“, um ihre neue Uni aufzubauen. Nebenher mußten sie sich noch um ihr eigenes Überleben kümmern, Kartoffeln und Kohlen besorgen, als Nachtwächter arbeiten. Die Vorlesungen fanden bei Kerzenlicht statt, und über allem thronte „unser greiser Rektor Geheimrat Meinecke“. So zumindest präsentierte sich die FU-Gründung in einem Film, den ein handverlesenes Publikum bei der gestrigen Immatrikulationsfeier zu Gesicht bekam.
Es sei zwar „ein billiger Trost“, sagte Festredner Ernst Benda, aber den Studierenden von 1948 wären die heutigen Studienbedingungen trotz überfüllter Hörsäle und fehlender Bücher geradezu „als traumhaftes Ideal erschienen“. Damit wolle er zwar „die Probleme von heute nicht verniedlichen“, aber doch darauf hinweisen, daß „zu einem erfolgreichen Studium mehr gehört als nur die materiellen Voraussetzungen“.
Nach Ansicht Bendas war es gerade die schwierige Lage Berlins im Zeichen der beginnenden Blockade, die „die Kräfte mobilisierte“. Daraus lasse sich lernen, „daß Universitäten keine Luxuseinrichtungen sind, auf die man verzichtet, wenn die Lage schwierig wird“. Andererseits müßten die Hochschulen in schwieriger Zeit „auch die Lasten solidarisch mittragen“. Seine Empfehlungen relativierte Benda zugleich mit der Bemerkung, die Studierenden von heute sollten „nicht auf die Ratschläge alter Männer hören“.
Die meisten von ihnen hätten es auch gar nicht gekonnt, denn die „Immatrikulationsfeier“ fand weitgehend unter Ausschluß der Studierenden statt. Nachdem der Vortrag des amerikanischen Botschafters John Kornblum im Januar von studentischem Protest gestört worden war, ging die Uni- Leitung diesmal auf Nummer Sicher. Die Polizei sperrte vor dem Henry-Ford-Bau die Straße ab, und der Wachschutz ließ nur geladene Gäste ins Audimax.
Zu ihnen zählten 50 Studierende aus den Jahren 1948 bis 1950, aber auch einige Erstsemester. Ihre Matrikelnummern zwischen 1 und 3.381.693 waren im Programmheft sorgfältig vermerkt. Allein der Erste Vizepräsident Peter Gaehtgens stand zahlenlos da, weil er nicht an der FU, sondern in Freiburg, München und Köln studiert hatte. Gemeinsam mit dem FU-Gründungsstudenten Stanislaw Kubicki (Matrikelnummer 1) überreichte er jeweils einem Studierenden aller 18 Fachbereiche die Immatrikulationsurkunde. Die „Formlosigkeit“ einer Zustellung auf dem Postweg, auf dem die übrigen gut 3.000 neuen Studierenden ihre Unterlagen erhielten, wertete Gaehtgens als Ausdruck „innerer Verwahrlosung“. Doch steuere der „Tanker“ FU jetzt mit der „Beweglichkeit einer Rennjacht“ in die Gegenrichtung.
Der AStA-Vertreterin Andrea Güttner kommt bei diesem Kurs, der in Richtung „Entdemokratisierung“ führe, „das kalte Grausen“. Auf der Feier werde „eine Einigkeit zelebriert, die es nicht mehr gibt“. Da geht es den Studierenden von heute gar nicht so viel anders den FU-Gründern vor 50 Jahren. „Wir fühlten uns von den Professoren im Stich gelassen“, sagte Benda. Ralph Bollmann
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