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Archiv-Artikel

„Es geht vor allem um dieses Kribbeln“

Mall Rats (letzter Teil): Manuela wischt im Center den Fußboden. Vor kurzem hat sie sich in einen Kollegen aus ihrer Kolonne verliebt. Er ist Fensterputzer und sehr schüchtern. Daheim geht der Lohn für die SMS-Sucht ihres Sohnes drauf

Gefühle sind natürlich auch im Spiel. Spätestens seit Daniel Millers Studie „Making Love in Supermarkets“ gilt es unter Marketingstrategen als ausgemachte Sache, dass „immaterielle Aspekte“ und insbesondere „Emotionen“ zur Kaufentscheidung dazugehören. Romantische Geschichten haben wir hier in den letzten Wochen im Center trotzdem nur wenige zu hören bekommen. Kurz vor Ende unseres Aufenthaltes lernen wir dann Manuela kennen.

Manuela ist 38 Jahre alt und wischt morgens zwischen halb sechs und acht die Ladenstraße. Vor kurzem hat sie sich in einen der beiden Fensterputzer in ihrer Kolonne verliebt. „Aber er ist schüchtern.“ Also hat sie sich mit ihrer Freundin, die ebenfalls im Center arbeitet, einen Trick ausgedacht. Die beiden haben einen Betriebsausflug auf den Bremer Freimarkt organisiert, außer dem Fensterputzer allerdings nur eine Handvoll Kollegen eingeladen, die ganz bestimmt nicht kommen würden. „Oliver hat wegen seiner Frau abgesagt, zwei anderen war die Anfahrt zu weit, und der Rest ist zum Werder-Spiel gegangen.“

Also waren sie und ihre Freundin mit dem Fensterputzer allein auf dem Freimarkt und später dann noch im „La Habana“, der Diskothek im Hauptbahnhof. Und? – „Er ist wirklich schüchtern. Auf dem Freimarkt habe ich ihn an die Hand genommen. Mehr war nicht.“ – Was findet sie an ihm attraktiv? – „Seine Behaarung.“ – Manuela deutet auf Oberarme, Brust und Rücken. Wir sehen sie irritiert an. So gut kennt sie ihn also doch schon? – „Die T-Shirts, die wir bei der Arbeit tragen müssen, sind ziemlich weit.“ Nachrichten tauschen beide vor allem über ihre Freundin. „Er simmst ihr, dass er zum Frühstück ins Center kommt. Sie fragt dann zurück, ob er wegen ihr kommen würde. Er antwortet, nein, eigentlich nicht wegen ihr. Dann weiß ich, dass er wegen mir kommt.“ Wir finden das etwas umständlich. Manuela überlegt. „Es geht eben vor allem um dieses Kribbeln. Man fühlt sich wieder wie ein Jugendlicher.“

Manuela ältester Sohn ist 19 Jahre alt und macht gerade seinen Hauptschulabschluss nach. In seiner letzten Beziehung haben Mobiltelefone ebenfalls eine große Rolle gespielt. Für seine Freundin, die mittlerweile seine Exfreundin ist, hat er einen Handyvertrag abgeschlossen. „Das Problem ist ja, dass die erste Rechnung immer erst nach zwei Monaten kommt. Plötzlich sollte er 3.000 Euro bezahlen.“ Manuela findet das nachvollziehbar. „Allein eine SMS kostet 19 Cent, und wenn man mehr als hundert Stück am Tag schreibt, kommt schnell einiges zusammen. Und dann die Gespräche in andere Netze.“ Sie ärgert vor allem, dass die Rechnung noch weiter gestiegen ist, obwohl ihr Sohn die Nummer gesperrt hat. „Wir waren deswegen sogar beim Anwalt. Keine Chance.“ Manuelas Sohn bekommt Arbeitslosen- geld II, insgesamt 279 Euro. 50 Euro gehen jetzt jeden Monat an den Provider. In der Welt der Einkaufscenter, in der es deutlich mehr Handyshops als Blumenläden gibt, zahlt man einen hohen Preis für die Liebe.

Manuela ist im Übrigen seit acht Jahren geschieden. Das eine oder andere Mal hat sie einen Mann bei sich einziehen lassen, aber meistens hat es zwischen ihren Freunden und ihren Kindern nicht gut funktioniert. Sie will es darum langsam angehen lassen mit dem Fensterputzer. „Morgen bringe ich ihm selbst gemachte Schokocrossies mit zur Arbeit.“ – Was wird sie ihm dazu sagen? – „Ich muss gar nichts sagen. Die Schokocrossies sind in Herzform.“

KOLJA MENSING

Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen einen Monat im Einkaufszentrum. Geschichten und Videos unter www.13terShop.de