: Mit Geschmacksfilter
Mehr als bloß Produzent und Musiker: James Lavelle personifiziert das Starmodell der nahen Zukunft, den Impresario ■ Von Tobias Rapp
James Lavelle sieht für seine 24 Jahre ziemlich alt aus. Nicht etwa verbraucht in einem Rockstar-Sinne, sondern eher wie jemand, der aus einer rationalen Entscheidung heraus zum Buddhismus wechselt, weil er anders all die Jobs und Verpflichtungen nicht mehr bewältigen kann – und das mit Mitte zwanzig. Lavelle hat tatsächlich eine Menge zu tun. Er ist nicht nur Chef des britischen TripHop- und Downtempo-Labels Mo'Wax, er ist auch die eine Hälfte des Projekts Unkle. Außerdem steht er, genau wie Goldie, für das Starmodell der näheren Zukunft: den Impresario.
So sieht er zwar nicht gerade aus, und für Glamour ist er wahrscheinlich auch zu stilsicher, aber so funktioniert sein Erfolg. Denn nachdem Techno glaubte, den Künstler endlich abgeschafft zu haben und mit dem Feiern des Produzenten als neuem Mittelpunkt popkulturellen Geschehens auf der sicheren Seite zu stehen, sieht es am Ende des Jahrzehnts schon wieder ganz anders aus. Niemand hat heuer etwas gegen Produzenten, genausowenig wie gegen Sänger oder Musiker. Was über all diese Vermittlungsinstanzen aber verhandelt wird, ist der Impresario des Ganzen. Genau wie Goldie nicht einfach nur ein Medienrepräsentant der Drum'n-Bass-Szene ist, sondern auch Szene-interner Aktivist auf tausend Ebenen, ist James Lavelle mit seinem Mo'Wax-Label der Impresario von Downtempo.
Die Legende, daß sich Lavelle mit 19 Jahren einige tausend Pfund geliehen haben soll, um Mo'Wax zu starten, diese Vom-Plattenhändler-zum-Erfolgslabelchef- Geschichte, ist nicht nur die Variation auf ein altes Thema. Sie setzt auch gleichzeitig Lavelle in einem weit höheren Ausmaß als sonst einen Labelmacher ins Zentrum seiner Aktivitäten. Wo andere Plattenfirmen Künstler herausbringen, kommuniziert Mo'Wax vor allem seinen Chef. Der darf dann auch mal an den Knöpfchen drehen, aber er ist nicht nur derjenige, der alle kennt, zusammenbringt und das dann verkauft. Er hat das coole Wissen nicht allein, er ist vor allem derjenige, der es personifiziert.
Ja, so einer ist James Lavelle. Und genauso wie mit Mo'Wax verhält es sich mit Unkle, seinem Projekt gemeinsam mit DJ Shadow und rund einem Dutzend Gaststars. Obwohl alle Beats von seinem Partner programmiert worden sind, ist Lavelle das Zentrum des Ganzen, sein Telefonbuch hält die Platte zusammen. Für ihn selbst stellt sich das so dar: Die Platte zu produzieren habe sich für ihn so angefühlt, wie Regisseur eines Hollywood-Films zu sein. „Man hat einen Superstar, nämlich Mike D. von den Beastie Boys, ein paar Nachwuchsstars mit großer Zukunft, wie Ashcroft oder den Radiohead-Sänger, und einen abgehalfterten B-Movie-Darsteller wie Kool G. Rap.“ Und dabei ist er so cool, daß man ihm den gemäßigten Gefühlsausbruch glaubt, die Aufnahmen mit dem Verve-Sänger Richard Ashcroft zu dem Song „Lonely Soul“ seien „das Intensivste“ gewesen, was er jemals erlebt habe.
Doch so richtig herausrücken will Lavelle dann doch nicht, wie er denn jetzt so sei, der Richard Ashcroft. Außerdem ist es ja auch schon eine Ewigkeit her, damals, als noch niemand Verve kannte, außer eben die mit dem coolen Wissen. Da zeigt er lieber das zur Platte gehörige Extra, die Figuren, die der Graffitikünstler und Mo'Wax-Plattencovergestalter Futura 2000 für Unkle entworfen hat. Ziemlich unsinnige kleine Puppen von merkwürdigen Aliens, die man sich entweder, in der kleinen Version, ins Regal stellen kann oder in der großen, wenn man sie aufgepustet und den Fuß mit Wasser gefüllt hat, in die Ecke. Auch ein alter Kumpel von Lavelle, Futura 2000.
Und die Musik auf „Psyence Fiction“? Die ist genau wie der Mo'Wax-Sound: geschmackssicher bis in die Haarspitzen. Da ist keine Dissonanz, die nicht durch jeden denkbaren Geschmacksfilter geschickt worden ist, und jedes Sample durchläuft aufwendige Raritätsprüfungen, bevor es verwendet werden kann.
Unkle: Psyence Fiction (Mo'Wax / Elektro Motor)
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