: „Der FC Bayern ist nicht so schlecht“
Nach einem 1:1 auf sehr hohem Niveau fühlen sich die Champions-League-Viertelfinalisten Manchester United und Bayern München als Titelanwärter ■ Aus Old Trafford Ronald Reng
Fünf Minuten blieben Manchester United noch, um aus dem 1:1 gegen Bayern München einen Sieg zu machen. Da zeigte Uniteds Trainer Alex Ferguson seinem Team an: Hört auf zu spielen. Beide Zeigefinger streckte Ferguson empor – 1:1 sollte das heißen –, und dann wischte er auf Brusthöhe mit den flachen Händen über Kreuz durch die Luft: Das reicht, Ende. Jemand hatte dem Trainer die Spielstände der anderen Champions-League-Partien übermittelt, die Ergebnisse liefen für United. Ihm war klar, daß ein Unentschieden zum Weiterkommen genügen würde; Bayern wäre als Erster der Vorrundengruppe D für das Viertelfinale qualifiziert, United als einer der zwei besten Zweitplazierten. Bloß den Zuschauern war nichts klar. Wütend schimpften und pfiffen viele der 54.000 auf ihre Mannschaft, die plötzlich nicht mehr alles zu geben schien. Ein paar aus seiner Elf, sagte Ferguson, hätten es zunächst auch nicht kapiert, „da mußten erst die deutschen Spieler brüllen: ,Haltet den Ball in eurer Spielhälfte, ihr seid im Viertelfinale.‘“
Was als Nacht der großen Entscheidung begonnen hatte, war auf einmal ein netter Abendspaziergang. 85 Spielminuten lang bekämpften sich der elfmalige englische und der 14malige deutsche Fußballmeister im Gefühl, es ginge um alles oder nichts – nur um kurz vor Schluß festzustellen, daß dieses Duell zwei Sieger haben würde. „Beide wollten das Spiel gewinnen“, sagte Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld, so als habe er Angst, jemand würde ihnen Manipulation vorwerfen.
Auf die Idee wird keiner kommen, der zugesehen hat. Zu viel Klasse, zu viel Leidenschaft offenbarte das Match. Falls irgendeiner der anwesenden Journalisten trotzdem unsicher in seiner Einschätzung war – er mußte nicht verzagen, Bayerns Mittelfeldantreiber Stefan Effenberg gab generös Tips in Sachen Berichterstattung: Zwei Siege gegen Barcelona, zwei Remis gegen Manchester in dieser Europacup-Vorrunde, „da kann man auch mal schreiben, daß der FC Bayern keine so schlechte Mannschaft hat“.
Tatsächlich zeigte der FC Bayern alles, was er hat – viele Stärken und ein paar Schwächen. Nachdem Roy Keane sie kurz vor dem Halbzeit-0:1 in Rückstand gebracht hatte, steigerten die Münchner scheinbar mühelos ihre Wucht und Dynamik, Effenberg, der ansonsten des öfteren Zweikämpfe verlor, vorneweg. Nach einem seiner Eckbälle glich Hasan Salihamidzic (57.) aus. United rannte ein im Vergleich zu Bundesligaspielen ungewöhnlich hohes Tempo, „auch gedanklich schneller“ sei gespielt worden, erkannte Hitzfeld.
Im großen und ganzen war es enorm, wie Bayern damit zurecht kam; im kleinen Detail wurde deutlich, daß Spielern wie Alexander Zickler der Ball bei der Annahme vom Fuß springt, während er bei Uniteds Stürmer Andy Cole am Spann kleben bleibt. In kurzen Momenten wurde offensichtlich, daß Akteure wie Thomas Strunz die Übersicht verlieren, wenn United sein einmaliges Direktspiel vorträgt: Ein langer Paß von Paul Scholes, ein kurzer Abpraller von Cole, und schon steht Ryan Giggs frei vor dem Tor. Selbst Innenverteidiger Markus Babbel, der mit erstaunlicher Autorität Bayerns Strafraum bewachte, hatte da ab und an Probleme, zu folgen.
Vielleicht treffe man sich ja schon bald wieder, sagte Hitzfeld den Engländern zum Abschied. Im Halbfinale oder Endspiel der Champions League – das sagte er nicht, meinte er aber. Potential, den ganzen Weg zu gehen, haben beide Teams, wenngleich den besten Fußball in der Vorrunde Dynamo Kiew spielte.
Uli Hoeneß, der Manager der Bayern, hielt es jedenfalls für angebracht, mitzuteilen: „Wir sind wieder wer.“ Und weil er so richtig gute Laune hatte, machte er noch ein bißchen weiter: Sein Wunschgegner für die Runde der letzten Acht in der Champions League? „Kaiserslautern“, schnappte er. In der Pfalz werden sie schon wissen, wie diese Wertschätzung zu verstehen ist; man wünscht sich ja bekanntlich den Gegner, den man für den leichtesten hält.
Schöne Grüße auch an Christoph Daum, den Trainer des Bundesliga-Ersten Bayer Leverkusen, am kommenden Sonntag Gegner der Bayern: „Ich würde dem FC Bayern nicht raten zu verlieren“, sagte Hoeneß, „denn dann zeigt Daum wieder sein wahres Gesicht.“ Von dessen in jüngster Zeit so freundlichen Worten über den Tabellenzweiten Bayern „lasse ich mich nicht täuschen“. Dann ging er in die Nacht. Berichte, daß er grinste, werden nicht dementiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen