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„Ich bin euer Bräutigam“

Der Kölner Erzbischof und papsttreue Kardinal Joachim Meisner provoziert durch fundamentalistische Positionen und müht sich zugleich um Anerkennung in seiner Diözese  ■ Von Daniela Weingärtner

Jedes Kommunionkind, das im Erzbistum Köln zur Messe geht, hat schon vom Bischof Joachim gehört. Seit er vor genau zehn Jahren nach heftigem Streit zwischen dem Papst und den Kölner Katholiken sein Amt als Erzbischof antrat, wird er regelmäßig zusammen mit dem Papst, den Priestern und allen, „die zum Dienst an der Kirche bestellt sind“, in die Gottesdienstgebete eingeschlossen. Manchmal kommt er auch persönlich vorbei, denn „Visitationen“, also Gemeindebesuche, hält Joachim Kardinal Meisner für den wichtigsten Teil seiner Aufgaben.

Diejenigen, die „zum Dienst an der Kirche bestellt sind“, erwarten seine Besuche mit gemischten Gefühlen. Einerseits versichern selbst kritische Begleiter seiner zehn Kölner Jahre, er sei im persönlichen Umgang warmherzig und aufgeschlossen. Andererseits werden Meisners alttestamentarische Strenge, seine unberechenbaren Metaphern und der leidenschaftliche Predigtstil, der gern in flammende tagespolitische Rede übergeht, im Rheinland unverändert gefürchtet.

Als Bischof Joachim an einem Sonntag das Bonner Münster besucht, sorgen gerade seine Bemerkungen zur Abtreibungspille RU 468 für Aufruhr, mit denen er das Medikament in die Nähe gerückt hat zu dem von den Nazis in den Gaskammern verwendeten Zyklon B. In der vollen Kirche erwarten ihn die Bonner, alte und junge, die dennoch guten Willens sind, mit ihrem Bischof friedlich eine Kerze anzuzünden. Meisners Predigt beginnt entspannt: das Licht der Kerze als Zeichen der Hoffnung in der Finsternis. Doch dann verwandelt sich der leutselige Hirte mit wenigen Sätzen in einen schneidenden Redner, der die weltlichen Lüste anprangert: vom verführerischen Licht der Städte bis zu Luzifer, dem gefallenen Engel des Lichts.

Unversehens – keiner weiß hinterher, wie Meisner so schnell dahin gekommen ist – nennt er den Erzbischof von Canterbury einen beneidenswerten Mann, „weil der einem Premierminister die Hand schütteln darf, der in Erstehe verheiratet ist“.

Es dauert einen Augenblick, bis die Bonner den Hieb auf den zum vierten Mal verheirateteten Kanzler Schröder begriffen haben. Die festliche Gemeinschaft ist dahin. Junge lachen laut, Ältere rutschen auf ihren Bänken und blicken sehnsüchtig Richtung Ausgang. Meisner beendet seine Predigt zögernd, sehr leise plötzlich, als wäre die Wut von ihm abgefallen und als würde er sich der Feindseligkeit in der Kirche nun körperlich bewußt.

Geprägt durch die Diaspora in der DDR

Die ihn aus langjähriger Zusammenarbeit im obersten Laiengremium der Diözese, dem Diözesanrat, oder im Kollegium der Kölner Domherren, dem Domkapitel, kennen, halten Meisner für einen Menschen, der eigentlich auf Zustimmung aus ist. Dem aber gleichzeitig die jahrzehntelange Diaspora-Erfahrung als katholischer Priester in der kirchenfeindlichen, mehrheitlich protestantisch geprägten DDR-Umgebung in den Knochen steckt. Die lautet in Kurzform: Wenn dir Haß entgegenschlägt, zeigt das, daß du auf gottgefälligem Wege bist. Deshalb, so vermuten viele, lange der Kardinal dann besonders kräftig hin, wenn er Widerstand spüre, auch in den eigenen Reihen. Meisners Welt kennt keine Zwischentöne – wer über Diakoninnenweihe nachdenkt und ökumenisch weiter will als der Papst, ist kein gottgefälliger Mensch mehr.

Für den Geschmack des erfahrenen Kommunalpolitikers und Neusser Bürgermeisters Thomas Nickel, der zugleich Vorsitzender des Diözesanrats ist, hält Meisner – obwohl er sich in tagespolitische Fragen einmischt – zuviel Abstand zu politischen Entscheidungsträgern. Ein tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber den Regierenden, vermutet Nickel, sei dem Bischof aus seiner DDR-Zeit geblieben. „Ich sage ihm oft: ,Herr Kardinal, Sie müssen das Klüngeln lernen...‘“ Daß der Kardinal nicht auf ihn hört, findet Nickel bedauerlich. Er ist nicht der einzige, der sich fragt, von wem sich Meisner eigentlich beraten läßt. „Ich sag oft: ,Herr Kardinal, lassen Sie mal 'nen anderen die Hirtenbriefe schreiben. Mir fällt nach der vierten Rede zum gleichen Thema auch nichts Neues mehr ein.‘“

Domprobst Henrichs, der Vorsitzende des Domkapitels, zu dessen Aufgaben es eigentlich gehören sollte, den Erzbischof von Köln zu beraten, kennt die Vertrauten des Kardinals ebenfalls nicht. Vor zehn Jahren war er einer der striktesten Gegner Meisners. Heute hat er „auf rheinische Art“ seinen Frieden mit ihm geschlossen: „Würde heute in der Diözese abgestimmt, gäbe es ein hohes Ergebnis für Meisner. Das ist typisch rheinsch: Den kennste, der sagt zwar manchmal komische Sachen, aber schließlich darf doch jeder sagen, was er will.“

Meisners Vorgänger Höffner und vor allem Frings, ein im Rheinland bis heute verehrtes rheinisches Urgestein, seien von so selbstverständlicher Selbstsicherheit gewesen, erinnert sich Henrichs wehmütig. Da habe Meisner als Nachfolger keinen leichten Start gehabt. Wie jeder Rheinländer, der um einen plastischen Vergleich bemüht ist, landet auch er beim karnevalistischen Vokabular: „Es ist hundertmal einfacher, 'ne Büttenrede hinter 'nem Schlechten zu halten – deshalb hat Meisner es bei uns so schwer.“

Daß der in Schlesien geborene, in Thüringen aufgewachsene Meisner tapfere Anstrengungen unternommen hat, sich mit dem Karneval anzufreunden, rechnen ihm viele Kölner hoch an. Der Meisner-freundlichen Würzburger Morgenpost hat er aber anvertraut, wie fremd ihm die „Fünfte Jahreszeit“ geblieben ist: „In Schlesien ist in den ersten Lebensjahren meine noch unbeschriebene Seele beschrieben worden; nicht mit Karnevalsliedern, sondern – meinem Geburtsjahrgang entsprechend – mit Nazi-Märschen.“ Die Meisner- Fotos mit Prinzenmütze zeigen denn auch einen Hirten, der für den Dienst an seiner Kirche zu äußersten Opfern bereit ist. Der Bild- Zeitung hat er im Sommer gestanden, was dahintersteckt: „Ich möchte zum Schluß einmal die Himmelstür aufhalten, alle Kölner hineinführen und dem lieben Gott sagen: ,Hier sind sie alle!‘“

Der katholische Theologieprofessor Johannes Brosseder ist einer von denen, die da nicht mitgehen werden, da mag sich Meisner so volksnah geben, wie er will. Vor zehn Jahren hat Brosseder die „Kölner Erklärung“ gegen die Amtsführung des Papstes und Meisners Berufung mitverfaßt. An Meisners Ankunft auf dem Flughafen Köln-Wahn erinnert er sich, als sei es gestern gewesen. „Steigt aus dem Flugzeug und sagt: ,Ich bin euer Bräutigam‘“, zitiert Brosseder und schüttelt sich. „Sämtliche Metaphern, die er benutzt, sind schief.“

Brosseder verabscheut Meisner genauso gründlich wie der umgekehrt die Theologen. In seiner diesjährigen Neujahrsrede vor dem Diözesanrat, die von geübten Meisner-Hörern als maßvoll empfunden wurde, bedachte Meisner den Theologenstand wieder einmal mit Extraschelte: „Angesichts von 380 katholischen Theologen und 8.000 Religionslehrern müßte sich das Glaubensbekenntnis eigentlich ausbreiten, aber es ist bei uns auf einen Tiefpunkt gesunken.“ Brosseder sieht das genau umgekehrt: Was Domprobst Henrichs nur angedeutet hatte, als er Meisners theologische Ausbildung in Erfurt mit einem Fragezeichen versah, spricht der Kölner Professor aus: „Meisners Dissertation behandelt ein Thema aus der Gegenreformation. Das ist der Hintergrund, aus dem sich seine Frömmigkeit speist. Den Marienkult will er wiederbeleben. Aber daß es hier in Köln eine Fakultät gibt mit 900 katholischen Theologiestudenten, das kümmert ihn nicht!“

Ansätze zu kirchlicher Erneuerung erstickt

Auch seien Meisner, jenseits seiner fundamentalistisch-moralischen Einmschungen, viele gesellschaftspolitische Fragen gleichgültig. Deshalb habe die reichste Diözese Europas, die mächtigste in Deutschland, seit zehn Jahren keine Stimme mehr im gesellschaftlichen Dialog. Das Gespräch mit den großen Parteien sei eingeschlafen, Ansätze zu kirchlicher Eneuerung erstickt. „Was hat er mir geantwortet, als ich ihn auf die Diakoninnen-Ordination ansprach? ,Wenn Christus gewollt hätte, daß die Frauen in der Kirche eine andere Rolle spielen, wäre er nicht vor 2.000 Jahren gekommen, sondern heute.‘“

In Meisners Kirche immerhin ist die Welt noch in Ordnung: Beim Neujahrsgottesdienst liest eine Vertreterin der Laien einen Bibeltext vor. Die Frau wird vom Küster in ihrer Kirchenbank abgeholt und in den Altarbereich geleitet. Nach der Lesung führt er sie zurück und klinkt die rote Samtkordel energisch hinter ihr fest. Als Kardinal Meisner wenig später wild den Weihrauchkessel schwenkend den Alter umrundet, meint man, er wolle alle Spuren vom sündigen Weibe mit ausräuchern.

Anschließend, auf dem Domvorplatz, ist er dann in seinem Element. Lächelnd beugt er sich zu den wenigen Kindern, die sich an diesem regnerischen Sonntag eingefunden haben. Den jungen Mann vom Schwulenverband, der ihm ein Flugblatt in die Hand drücken will, hält er mit gebieterischer Geste auf Abstand.

Domprobst Henrichs hat seinen Kardinal einmal ganz anders erlebt, zurückgeschlüpft in die Rolle des Dorfpfarrers. Bei der Beerdigung von Meisners Mutter im thüringischen Körner war das, als er gemeinsam mit seinen drei Brüdern den Sarg trug. „Ich hab mir das angesehen und gedacht: Bliebste doch – so...“, sagt Henrichs leise und lächelt bei der Erinnerung. Der Satz klingt eine Weile nach. Hat der Domprobst vielleicht gesagt: „Bliebste doch – dort?“ Ganz sicher nicht. Für einen Rheinländer wäre das ein zu harter Satz gewesen.

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