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Frühkapitalismus in El Salvador

Eine staatliche Studie über Maquilas faßt die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Billiglohnfabriken in Zahlen. Die Studie bleibt unter Verschluß  ■ Aus San Salvador Toni Keppeler

Der honduranische Präsident Carlos Roberto Flores sieht in den Maquilas, den Billiglohnfabriken, die ausländische Unternehmen betreiben, eine wesentliche Stütze für den Aufbau nach den Verwüstungen, die der Wirbelsturm „Mitch“ Ende Oktober vergangenen Jahres angerichtet hat. Und El Salvadors Präsident Armando Calderón Sol würde am liebsten „aus dem ganzen Land eine einzige Freihandelszone machen“, damit sich immer mehr dieser Schwitzbuden ansiedeln.

Für Menschenrechtsgruppen dagegen sind sie ein Greuel. Sandra Rivera, eine salvadorianische Menschenrechtsanwältin, sagt es klar: „Jeder hier weiß, daß in den Maquilas täglich Arbeiter- und Menschenrechte verletzt werden. Aber niemand tut etwas.“ Rivera war bis Ende letzten Jahres Juristin im staatlichen Menschenrechtsbüro. Zusammen mit acht weiteren Anwälten wurde sie entlassen. Denn das Parlament hat 1998 mit Eduardo Peñate einen der korruptesten Richter des Landes zum Menschenrechtsombudsman gemacht, und der räumt jetzt auf. Eine der letzten Studien, die seine Amtsvorgängerin Marina de Aviles verantwortet hatte, wurde nie der Öffentlichkeit präsentiert. Sie handelt von Menschenrechten in den Maquilas.

Die salvadorianischen Maquilas sind zu über neunzig Prozent Lohnnähereien. Rund 65.000 Frauen sind darin beschäftigt. Oft erhalten sie nicht einmal den staatlich garantierten Mindestlohn von rund 250 Mark im Monat. Nach der Studie der Menschenrechtsbeauftragten werden 22,6 Prozent der Näherinnen gesetzeswidrig noch schlechter bezahlt.

Und auch sonst wird am Lohn gespart, wo es geht: Im Durchschnitt werden die Frauen nach zwei Jahren entlassen. So umgeht man Gratifikationen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld. 16 Prozent bekommen nicht einmal den zweiwöchigen Mindesturlaub. Jede fünfte wird ohnehin gefeuert, bevor sie ihren ersten Urlaubsanspruch erworben hat. Fast der Hälfte wird das Krankengeld verweigert. Und ebenfalls für die Hälfte dauert die Wochenarbeitszeit länger als die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze von 44 Stunden. Es wurden Fälle mit bis zu 72 Stunden regelmäßiger Wochenarbeitszeit registriert.

Der Umgang in den Schwitzbuden ist rauh. Kommt eine Arbeiterin eine Stunde zu spät, wird ihr der ganze Tag vom Lohn abgezogen. Bleibt sie länger als fünf Minuten auf dem Klo, wird sie dort oft stundenlang eingeschlossen – ohne Bezahlung, versteht sich. Arztbesuche während der Arbeitszeit, obwohl gesetzlich vorgesehen, werden in aller Regel verweigert. Ein Fall wurde bekannt, an dem eine Näherin am Arbeitsplatz an einem aufgebrochenen Magengeschwür gestorben ist. Die Aufseherin meinte, sie sei eine Simulantin.

Am schlimmsten geht es in von Koreanern geleiteten Betrieben zu. 60 Prozent der dort arbeitenden Frauen beklagen sich über Beschimpfungen und Bedrohungen. Elf Prozent sagen, sie würden geschlagen. 17,4 Prozent berichteten von sexuellen Übergriffen. Trotzdem können sich die Maquilas nicht über zu wenige Bewerbungen beklagen. Denn 250 Mark im Monat decken zwar nur die Hälfte des Existenzminimums. Aber rund 50 Prozent der Salvadorianer sind arbeitslos oder unterbeschäftigt und haben nicht einmal dies.

Die Maquila-Industriellen El Salvadors haben deshalb ein goldenes Jahrzehnt hinter sich. Wachstumsraten von um die vierzig Prozent im Jahr waren normal. Doch damit ist es vorbei. Nach der Asienkrise und den damit verbundenen Abwertungen lohnt es sich wieder, im Fernen Osten nähen zu lassen. Die Exportpreise von Textilien aus Indonesien, Malaisia oder den Philippinen sind um bis zu fünfzig Prozent gesunken. Alfredo Millian vom Industriellenverband ASI beklagte sich deshalb kürzlich über „viel zu hohe Lohnkosten“ in Zentralamerika. Seit dem Beginn der Asienkrise haben 75 Unternehmen ihre Maquilas in El Salvador geschlossen. 9.000 Menschen wurden arbeitslos.

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