piwik no script img

Küssen für die Kunst

Es ist nie einfach, sich von gewohnten Sichtweisen zu verabschieden. Das Essener Folkwang Museum zeigt eine kluge Auguste-Rodin-Ausstellung, deren These einen neuen Blick auf die Arbeit nahe legt

VON KATJA BEHRENS

Das Werk des Bildhauers Auguste Rodin (1840-1917) gilt als der Beginn der modernen Skulptur. Auch war Rodin vermutlich einer der ersten Künstler, die die Rezeption ihrer Arbeit mit Hilfe des neuen Mediums Fotografie selbst in die Hand zu nehmen versuchten. Sein fast schon impressionistischer Stil und das planmäßige Non-finito vieler seiner Arbeiten waren von Anfang an auch eine große Herausforderung an die Sehgewohnheiten seiner Zeitgenossen. Denn wenn er auch die Tradition der großen Narrationen immer im Auge behielt, widersetzte sich der Künstler dem damals vorherrschenden Akademismus und seiner Idealisierungen. Der radikale Wandel in der Oberflächen- und Materialbehandlung löste die festen Konturen auf. Die Umrisse der Körper gerieten in Bewegung, stabile Verhältnisse und gewohnte Hierarchien gerieten ins Wanken. Nicht nur die Demokratisierung des Betrachter-Blicks, auch die Fragmentierung des Körpers war von nun an ein Motiv seiner Kunst. Als Metapher der Moderne erzählt das vom unwiederbringlich verlorenen Mythos einer vormals heilen Welt. Kunst hatte nicht länger die Aufgabe, dies zu verschleiern.

Das zentrale Motiv der Essener Ausstellung „Auguste Rodin. Der Kuss – Die Paare“, in der neben 35 Skulpturen aus Bronze, Marmor, Gips und Ton auch Fotografien, Zeichnungen und Aquarelle gezeigt werden, ist der Kuss. Anne-Marie Bonnet vom kunsthistorischen Lehrstuhl der Uni Bonn und Kuratorin dieser salonartigen Ausstellung, hat darin auch die bisherige Rodin-Rezeption zur Disposition gestellt. Als eines der Hauptwerke Rodins ist das sich küssende Paar immer als Sinnbild der Innigkeit gelesen wurde. Das aber sei ein Fehler, der nun endlich korrigiert werden solle, so die Kuratorin.

Der sei vor allem der buchstäblich eindimensionalen Sichtweise geschuldet, die die Rezeption von Rodins Werk idealisierend verkürzt habe: In der Hölle von Dantes Göttlicher Komödie schmoren Paolo und Francesca da Rimini, verstrickt in eine frevelhafte und problematische innerfamiliäre Liebesbeziehung. Das Paar taucht seit 1880 in Rodins legendärer „Höllenpforte“ auf und ist Vorbild auch für die Skulptur, die irgendwann „Der Kuss“ genannt wurde und kurz darauf die Herzen des Publikums eroberte. Ein harmonisches Verhältnis freilich ist diese unglückliche Liebe nicht. Und auch die anderen erotisch verschlungenen Zweiergruppen, die in Essen zu sehen sind, lassen bei näherer Betrachtung stutzen, denn die bislang geglaubte Innigkeit erweist sich – zumindest bei den heterosexuellen Paaren – als romantische Konstruktion, die mit dem Wollen des Meisters viel weniger zu tun hat als bislang angenommen.

Schuld an der einseitigen Interpretation der Rodinschen Werke sind nicht nur die glatt polierten Oberflächen und edlen Materialien, sondern auch die herkömmlichen Präsentations- und fotografischen Reproduktions-Formen, die die Skulpturen in eine Sichtweise zwingen, die den Intentionen des Künstlers zuwiderläuft. Nicht umsonst hat Rodin selbst den Entstehungsprozess seiner Figuren umfangreich fotografisch dokumentiert, hat die experimentellen Stadien seiner Figurenkombinationen festgehalten, die Präsentationsbedingungen und somit auch die Rezeptionsweisen seiner Kunst über die Abbildungs-Regie zu lenken versucht. Er lehnte die ikonische Ein-Ansichtigkeit ab.

Die küssenden Paare Rodins haben also ein rezeptions-technisches Problem. Das was Rodin nämlich tatsächlich zeigt, ist ein seltsam ambivalentes Verhältnis der Liebenden: Selbstbewusst und scheu zugleich, sehnsuchtsvoll die eine und steif der andere umarmen sie sich und vermeiden in der Umarmung wirkliche Nähe. Erst beim Umschreiten wird offenbar, was die frontale Präsentation nie zeigt: Die Idylle ist gebrochen, der innige und immerwährende Liebes-Kuss ist der sehnsuchtsvolle Wunsch vor allem des Betrachters.

Bis 08. April 2007Infos: 0201-8845301

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen