Kommentar
: Eine Richtungsentscheidung

■ Die Regierung geht ohne Lafontaine den dritten Weg

Selten lag Bild so daneben wie mit ihrer gestrigen Schlagzeile „Schröder droht mit Rücktritt“. Tatsächlich hatte der Bundeskanzler drastisch deutlich gemacht, daß so nicht weiter regiert werden kann. Denn SPD und Grüne drohen die gesellschaftliche Mehrheit für ihre Politik zu verlieren. Eine Politik der Nadelstiche gegen die Wirtschaft beklagte Schröder, und es sind eine ganze Reihe von Kabinettsmitgliedern, die da pieken: Familienministerin Christine Bergmann und Umweltminister Jürgen Trittin. Doch das spitzeste Florett führte zweifelsohne Oskar Lafontaine. Er drohte den Energiekonzernen mit steuerlichen Belastungen zur gleichen Zeit, in der Schröder bemüht war, mit eben diesen Konzernen einen Konsens über die künftige Energiepolitik zu finden.

Das war das letzte Beispiel für die unterschiedlichen Konzepte, die Lafontaines und Schröders Handeln zugrunde lagen. Auf der einen Seite eine Politik, die nach wie vor die Aufgabe des Staates darin sieht, im Dienste des Allgemeinwohls einen notfalls auch restriktiven Ordnungsrahmen für die Wirtschaft zu schaffen – auf der anderen Seite eine Politik, der das Wohlergehen der Wirtschaft legitimer, ja notwendiger Bestandteil dieses Gemeinwohls ist. Einen Trittin konnte Schröder auf seine Linie verpflichten, einen Lafontaine nicht. Der Mann ist zu eigenwillig, als daß er sich ohne weiteres Schröders Richtlinienkompetenz beugen würde.

Auf die Grünen werden jetzt schwerere Zeiten zukommen, denn eine originär rot- grüne Politik wird nun nicht mehr durchsetzbar sein. Allerdings wurde diese Politik bereits in Hessen vom Wähler abgestraft. Auch mit Lafontaine wären die Grünen genötigt gewesen, ihr Vorgehen als Regierungspartei zu verändern.

Weit schwereren Zeiten sieht jetzt allerdings die SPD entgegen. Monatelang wurde sie von den beiden an der Spitze, zwischen die angeblich ja kein Blatt paßte, in einer programmatischen Breite präsentiert, von der sich nun herausstellen wird, ob sie dem tatsächlichen Stand der Partei entspricht. Sie wurde von Lafontaine in Schröders Sinne diszipliniert. Nun zwingt sie Lafontaine zu einer Richtungsentscheidung, die schlagartig wieder die Tiefe alter Gräben verdeutlichen könnte. Das Modell, beide Richtungen an der Spitze zu präsentieren, ist gescheitert. Lafontaines Rücktritt ist von daher auch eine Aufforderung an Schröder, sich um den Parteivorsitz zu bemühen. Dieter Rulff