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Belgrad im grenzenlosen Siegesrausch

Das serbische Regime versucht der Bevölkerung das Abkommen von Kumanovo als Sieg zu verkaufen. Nach wochenlanger Bombardierung stimmen die Menschen nur zu gerne in den Jubel ein  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Die Moderatorin im serbischen Staatsfernsehen kann ihre Freude kaum zügeln. Das Abkommen über den Rückzug der jugoslawischen Streitkräfte sei im makedonien Ort Kumanovo zwischen „Vertretern der jugoslawischen Armee und der UN“ unterzeichnet worden, sagt die Dame mit bebender Stimme. Der Krieg sei jetzt beendet. Dank der „weisen und friedfertigen“ Politik des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic könne man jetzt den Frieden feiern. Jugoslawien habe sich erneut als ein „Friedensfaktor“ auf dem Balkan erwiesen und im „Verteidigungskampf für den Staat, das Volk und die gesamte Weltordnung“ gegen die „verbrecherische Nato“ den Sieg davongetragen.

Kurz danach ist die Hauptstadt Belgrad wie berauscht vom Jubel. Vor Freude schießen Menschen in die Luft. Autofahrer hupen euphorisch. In der milden Sommernacht kann man überall laute Musik hören, die aus den Fenstern der Wohnungen schallt. Nach 77 gespenstischen, finsteren, totenstillen, durchlittenen Kriegsnächten wacht die jugoslawische Hauptstadt wieder auf – ein Alptraum scheint vorüber.

Mehrere tausend Menschen, vorwiegend Jugendliche, versammeln sich langsam auf dem „Platz der Republik“ im Zentrum der Stadt. Die jungen Leute küssen und gratulieren sich, schreien vor Freude, so laut sie können. „Serbien, Serbien!“ und „Kosovo ist Serbien!“ ertönt es durch die Nacht. Einige Teenager spielen mit einem Ball. Als dann noch nach langer Zeit erstmals wieder die Straßenlaternen aufleuchten, geht das Glücksgefühl der Masse in eine hemmungslose Begeisterung über. Nur vier einfache Soldaten trinken an einem Kiosk angelehnt ganz ruhig und bedächtig ihr Bier und beobachten nachdenklich das Fest der Freude.

„Wir haben gesiegt! Jetzt können wir wieder normal ausgehen und leben“, sagt eine Studentin ganz aufgeregt. „Wir haben's den amerikanischen Nazis gezeigt!“ mischt sich ein junger Bursche ein. Die jungen Menschen beginnen ein sentimentales, patriotisches Lied zu singen, in dem es um Kosovo und Serbien geht, um Opfer, die man im Kampf um die Freiheit des Staates und des Volkes auf sich nehmen muß. „Wissen Sie, wir sind so erleichtert. Wichtig ist nur, daß diese jungen Menschen hier wieder in Frieden leben können und daß Kosovo ein Bestandteil Serbiens geblieben ist“, meldet sich ein älteres Ehepaar gerührt zu Wort.

Der Sieges- und Friedensrausch der Bevölkerung wird am nächsten Tag von den staatlichen Medien weiter angeheizt. Getreu dem Motto „Sieg der friedvollen Politik von Präsident Miloevic“ folgend, sind die einzelnen Tageszeitungen kaum voneinander zu unterscheiden. Mit keinem Wort wird dabei in den Berichten erwähnt, daß 50.000 Nato-Soldaten in den Kosovo einmarschieren sollen, daß die internationale Gemeinschaft und nicht Serbien die Übergangsbehörden im Kosovo bestimmen wird, daß der Friedensplan die „territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien“ und nicht Serbiens garantiert.

Die wenigen kritischen Worte der während des Krieges aus dem politischen Leben fast vollständig verdrängten Opposition werden von den Siegesparolen des Regimes völlig übertönt. Auch die unabhängige Presse berichtet nur vorsichtig – denn immer noch ist der Kriegszustand in Jugoslawien offiziell nicht aufgehoben, und immer noch sind die Kriegsgesetze in Kraft.

Selbst der gefeuerte Vizepremier der jugoslawischen Regierung und Vorsitzende der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, Vuk Draskovic, erklärt versöhnlich, er werde für die Demokratisierung des Landes kämpfen, doch das nur mit „friedlichen, demokratischen“ Mitteln.

Die Erleichterung der Bevölkerung in Jugoslawien ist am ersten Tag des Friedens so groß, daß sich die Menschen gern und ohne allzuviel nachzudenken dem allgemeinen Freudentaumel anschließen. Doch schon in allernächster Zeit werden Fragen über die Zukunft des zerstörten und isolierten Landes, dessen Präsident Slobodan Miloevic wegen angeblicher Kriegsverbrechen vom Internationalen UN-Tribunal in Den Haag angeklagt wird, auf die Tagesordnung kommen.

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