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UNHCR fordert Flüchtlinge zur Geduld auf

UN-Flüchtlingshilfswerk bereitet Rückkehr der Flüchtlinge vor, doch die Versorgung der im Kosovo Verbliebenen hat Priorität. G-8-Außenminister wollen zivile und militärische Präsenz im Kosovo verzahnen  ■   Von Sven Hansen

Beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR laufen die Vorbereitungen zur Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge auf Hochtouren. „Wir gehen davon aus, daß innerhalb der nächsten drei Monate bis zu 500.000 Flüchtlinge in ihre Heimatorte zurückkehren wollen“, sagte UNHCR-Sprecher Kris Janowski gestern zur taz. Schon mit den ersten Nato-Truppen würden zwei Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks in die zerstörte Provinz fahren. Voraussichtlich zwei Tage später werde ein erster Konvoi mit zwölf Lastwagen mit Hilfsgütern nach Pritina fahren und dort Lager für Vertriebene errichten. Danach würden UNHCR-Vertreter auch in kleinere Orte geschickt.

„Zunächst muß den Menschen geholfen werden, die im Kosovo geblieben sind“, sagte Janowski. Denn diese Vertriebenen hätten im Unterschied zu denjenigen in den Flüchtlingslagern außerhalb des Kosovo meist weder Unterkunft noch Verpflegung. Nach UNHCR-Schätzungen sind rund 600.000 Menschen innerhalb des Kosovo auf der Flucht.

Rückkehr der Flüchtlinge in vier Phasen

Das UNHCR wolle bei der Rückführung der Flüchtlinge in vier Phasen vorgehen. „Zuerst müssen wir eine realistische Einschätzung der Lage im Kosovo bekommen, dann die Lage dort stabilisieren. Danach können die Flüchtlinge aus den angrenzenden Regionen zurückkehren und dann als letzte die aus den Drittstaaten.“ Die Nachbarregionen des Kosovo haben 780.000 Flüchtlinge aufgenommen, die sogenannten Drittstaaten 81.700, darunter Deutschland 14.134.

Das UNHCR hofft, daß die Flüchtlinge in den Lagern in Albanien, Makedonien und Montenegro abwarten, bis die nötigen Hilfsmittel im Kosovo eingetroffen seien. Es gehe allerdings davon aus, daß viele sich spontan auf den Weg machen werden. „Wir werden sie nicht aufhalten können, wenn sie sofort zurückkehren wollen“, so Janowski. „Wir haben keine administrativen Möglichkeiten. Wir können nur Informationskampagnen in den Lagern machen und appellieren.“ Allerdings gehe man davon aus, daß jeweils nur ein bis zwei Familienmitglieder vorgeschickt würden, um die Lage zu sondieren.

„Wir fordern die Flüchtlinge auf, uns nicht vorauszueilen“, sagte der UNHCR-Sondergesandte Dennis McNamara gestern. „Wir fordern sie auf zu warten, bis es sicher ist. Wir arbeiten mit den Sicherheitskräften zusammen.“ Laut Janowski wird allein das UNHCR für die Betreuung der Flüchtlinge pro Woche zehn Millionen US-Dollar benötigen. Sämtliche UN-Hilfsorganisationen haben bis Jahresende zusätzliche Kosten von 473,4 Millionen Dollar zur Versorgung der Flüchtlinge kalkuliert.

Rückkehr aus Deutschland erst in Monaten?

Nach ersten UNHCR-Schätzungen sind bis zur Hälfte der Häuser im Kosovo zerstört und bis zu 70 Prozent beschädigt. Ihre Reparatur vor dem Einbruch der kalten Jahreszeit müsse Priorität haben. Doch laut Janowski ist das Flüchtlingshilfswerk auf die Rückkehr der Flüchtlinge besser vorbereitet als auf den Flüchtlingsstrom, von dem es nach Beginn der Nato-Angriffe am 24. März überrascht worden war.

Bundesinnenminister Otto Schily rechnet damit, daß eine Rückführung der in Deutschland untergebrachten Kosovo-Flüchtlinge voraussichtlich erst in einigen Monaten beginnen kann. Im Deutschlandfunk sagte Schily gestern, niemand wisse, wie es derzeit im Kosovo aussehe, wie viele Minen und Sprengfallen sich noch dort befänden, die das Leben der in ihre Heimat Zurückkehrenden gefährden könnten.

Priorität müsse die Rücksiedlung der zahlreichen Kosovo-Flüchtlinge aus Makedonien und Albanien haben, sagte Schily. Auch diese Menschen könnten erst in ihre Heimat zurück, wenn für entsprechende Unterkünfte gesorgt sei. In Dresden begann gestern eine Konferenz der Länderinnenminister, die sich auch mit dem Verbleib der Flüchtlinge befassen will.

Unterdessen gibt es Warnungen vor einer neuen Massenflucht aus dem Kosovo – diesmal von Serben. Serbische Politiker und Geistliche riefen die Kosovo-Serben auf, trotz der Angst vor Racheakten zurückkehrender Albaner die Provinz nicht zu verlassen. Zuvor hatten westliche Reporter aus dem Kosovo berichtet, viele serbische Zivilisten hätten angekündigt, den Kosovo vor dem Eintreffen der Fridenstruppe zu verlassen. Vor Beginn des Kosovo-Kriegs lebten in der südserbischen Provinz 200.000 Serben und 1,8 Millionen Albaner. In den vergangenen Wochen sind nach unbestätigten serbischen Angaben bisher rund 60.000 Menschen aus dem Kosovo in den Rest Serbiens geflohen.

UN-Koordinator für zivile Kosovo-Hilfe geplant

Bei der zivilen Umsetzung des Kosovo-Friedensplans soll es eine einheitliche Organisationsstruktur geben, um die maximale Wirksamkeit der Hilfen zu sichern. Darauf einigten sich gestern die Außenminister der G-8-Staaten bei ihrer Tagung in Köln. Der zivile Wiederaufbau solle beginnen, sobald ein sicheres Umfeld geschaffen worden sei, wobei die zivile und die militärische Präsenz von Anfang an verzahnt werden sollen. Ein Sonderbeauftragter von UN-Generalsekretär Kofi Annan solle möglichst bald als Koordinator der zivilen Bemühungen bestimmt werden. Priorität solle der Aufbau einer internationalen zivilen Polizeitruppe und einer örtlichen Polizei haben. Die G-8-Staaten sagten zu, sich an einer Geber-Konferenz zu beteiligen, die bald zur Finanzierung der zivilen Hilfe einberufen werden soll.

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