Zwischen den Rillen
: Hertzflimmern

■ Jazz in Electronics: Neuestes Kreuzen zwischen Weilheim, Köln und Karlsruhe

Rund um den Elfenbeinturm, in dem „Tschäääß“ immer noch hochdeutsch „Jazz“ ausgesprochen wird, ist lange schon mehr Bewegung, als man dort drinnen wahrhaben will. HipHop kollaboriert, die Klassikindustrie sucht nach Gemeinsamkeiten, und Pop bedient sich unbefragt per Sampler.

Immer noch recht einzigartig ist der Weg vom Indie-Gitarrenrock über die Elektronik zum Jazz, wie ihn das Tied + Tickled Trio aus dem oberbayerischen Weilheim beschritt. Vor zwei Jahren das Debüt – mitten hinein in die Ratlosigkeit, die der instrumentale Postrock hinterlassen hatte. Dabei nahm das von den notorischen Gebrüdern Micha und Markus Acher (The Notwist) und dem Jazzsaxofonisten Johannes Enders initiierte Projekt vordergründig nur wieder auf, was bereits bei Tortoise und Konsorten angelegt war: die Flucht in die Verfeinerung, ins Ästhetisierende, in die Sprachlosigkeit, kurz: den Jazz. Wire fühlte sich denn auch nur an die üblichen Verdächtigen erinnert: Miles Davis und Herbie Hancock.

Diese Linie wird nun auf „EA1 EA2“ fortgeschrieben. Ausgehend von einer meist elektronischen Grundlage, aber durchsetzt mit gesampelten Alltagsgeräuschen, gilt der Versuch einer Soundsprache, die sich zwar bestens auskennt in der ganzen Bandbreite zwischen der Monotonie des Loops und der Anarchie des Free Jazz, sich aber vorzugsweise in der goldenen Mitte zwischen den Genres aufhält.

So wird in „Unwohlpol“ über einem freundlich schabend programmierten Rhythmus so entspannt Saxofon geblasen, als sei man in der Milchkaffeewerbung. In „Yolanda“ liefert ein wohl temperiertes Klavier einen dicken Flokatiteppich, und in „DB Track“ korrespondieren ein hektisch klirrender Beat und clever in die Lücken spielende Blasinstrumente. Im Gegensatz zum Debüt sind die Improvisationen hier meist sehr viel weniger frei, die Experimente eher zurückgenommen, die Atmosphäre teilweise wie aus einem französischen Film über einen runtergekommenen amerikanischen Jazzmusiker. Kein falscher Ton am amtlich abgesicherten Ort. Aber im letzten Stück „4 Pole“ schließlich hebt ein solches Gedudel an, dass man wieder weiß, warum Familie Acher so viel in die musikalische Früherziehung der Söhne in der Musikschule Weilheim investiert hat.

Die Computerjockeys setzen bereits an den Anfang ihres selbst betitelten Debüts ein vorsichtig verrauchtes Intro, als hätten sie eigentlich schon immer lieber Jazz machen wollen und dabei irgendwo in einem speckigen Souterrain auf Barhockern sitzen. Dumm nur, dass sie nur gelernt haben, mit Maschinen umzugehen. Nach diesen ersten Takten allerdings startet das Duo aus Köln eine Reise für Pauschaltouristen, bei der Jazz nur mehr eine Sehenswürdigkeit unter vielen ist. Als Versatzstücke nehmen scheinbar klassische Jazz-Licks ihren Platz ein wie andere Bits eben auch, schließlich ist die Musikgeschichte digitalisierbar geworden.

So findet sich japanischer Singsang in „Kimono“, und vier Stücke später, in „Inschallah“, sind wir schon beim Arabischen angekommen. Das erinnert nicht nur in den Titeln an eine Luxuskreuzfahrt quer über den Globus. All inclusive zum Hören, in 70 Minuten und 33 Sekunden um die Welt. Irgendwo zwischen einem naiven Fortschrittsglauben und dem Wissen um die Morbidität des Seins liefern Computerjockeys eine zwar kreischend bunte, aber klasse aussehende Hörtapete. Auf dem aktuellst möglichen Stand die Innenräume moderner Menschen zu beschallen kann eine ehrenvolle Aufgabe sein. Nur: Welche Farben in der nächsten Saison modern sind, ist noch nicht abzusehen.

Das Kammerflimmer Kollektief dagegen, der hauptsächlich egomanische Elektronik-Trip von Thomas Weber aus Karlsruhe, scheint auf „Mäander“ gerade eher an den Rändern interessiert, für die die Kunden der Computerjockeys keine Zeit haben und die das Tied + Tickled Trio geschmackssicher bis geschmäcklerisch umschifft. So wird in „Rand“ eine Kakophonie zelebriert, die jeder Noise-Rock-Combo in den 80ern gut zu Gesicht gestanden hätte. Im anschließenden „Gras“ flüchtet sich ein sanft dahinlullender Dub ins Atonale, ohne allerdings jemals seine entspannte Grundeinstellung zu verlieren. „Simultan“ wiederum endet in einem mechanischen Gegrummel, das sich anhört wie vom jahrelangen Auf und Ab zerkratzte Fahrstuhlmusik.

Vielleicht liegt's daran, wie abstrus die Musik entsteht. Drei Jahre lang hat Weber Jazz durch den Sampler gejagt und mit dem Material Stücke programmiert. Erst dann manipuliert er die Datensätze – und landet scheinbar zwangsläufig im Lärm. Es ist, als würde die Musik in sich zusammenstürzen, wäre Jazz nur zwanghaft aufrechterhaltene Struktur, die kollabiert wie zivilisatorische Absprachen im menschlichen Katastrophenfall.

Zwar entsteht dieser Abgesang komplett am Rechner, aber auf der Bühne setzt Weber sie mit Gitarre und anderen Musikern um. Im Februar wird „Incommunicado“ erscheinen, auf der die Stücke von „Mäander“ mit klassischen Instrumenten neu eingespielt werden. Dann ist der Kreis geschlossen, ist Jazz wieder halbwegs bei sich angekommen, aber bestimmt nicht mehr der alte.

Thomas Winkler

Tied + Tickled Trio: „EA1 EA2“ (Payola/Virgin) Computerjockeys: „Computerjockeys“ (EMI/Harvest) Kammerflimmer Kollektief: „Mäander“ (Payola/Community/Virgin)