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Es gibt keine Zeitung mehr für mich!“

■ Die Debatte über die Sex- und Boulevard-taz vom letzten Samstag zeigt die Leserschaft entzweit: Die einen schimpfen, die anderen lachen

Kompliment, die Titten-taz ist euch großartig gelungen – so verfremdet hat seit Beginn eurer Aktion noch keine Wochenendausgabe ausgesehen. Auch am Kiosk muss die Ausgabe ein voller Erfolg gewesen sein. Bereits am frühen Vormittag waren die wenigen Exemplare bei der einzigen taz-Verkaufsstelle, die es in meiner immerhin 40.000 Einwohner zählenden Heimatstadt Lemgo gibt, ausverkauft. Da wird so mancher, der die taz gar nicht kennt, irrtümlicherweise gemeint haben, eine neue preisgünstige Sexpostille sei auf den Markt gekommen. Ein gutes Lehrbeispiel für alle, die sich von aufwendiger Packung blenden lassen.

Uwe Tünermann, Lemgo

Es gab viele Änderungen, die notwendig waren (oder auch nicht), aber die meisten im Rahmen. Das vom Samstag war der Nullpunkt. Ich habe bei Abschließen des Abovertrags die Veröffentlichung von sekundären Geschlechtsmerkmalen – insbesondere weiblichen – nicht bestellt! Thomas Koch, Münster

Wir, die Belegschaft einer Bau- und Möbeltischlerei im Hannöverschen, sind aufs Schärfste begeistert von der Titten-taz. Nun sind wir auf der Baustelle konkurrenzfähig gegenüber Bild und anderen. Wir werden die Samstagsausgabe möglichst lange gut sichtbar auf der Ablage unseres Lkws spazieren fahren, um auch andere Proleten zum Abonnieren zu bewegen. Natürlich freuen wir uns jetzt schon auf die erbosten Leserbriefe. Wir fordern die geneigten Mitleser aber auf, bitte im Stil der „Szene bis Anfang der Neunziger“ zu schreiben: „Ich kündige, weil ...“ Zur Beruhigung der Gemüter vielleicht noch eine Pimmel-taz.

Die Holzwürmer, Burgwedel

Jetzt ist endgültig der Bogen überspannt. Die heutige Ausgabe ist ein trauriger Höhepunkt in der sowieso schon bedauernswerten Entwicklung eures Blattes zur Hauptstadtzeitung. Selbst die Berliner Boulevardblätter haben nicht derart geballte Sexismen, kombiniert mit derart trivialen und unsozialen Inhalten und Aufmachungen, wie ihr sie heute als „Werbespaß“ anzubieten hattet. Ich weigere mich, diesen Dreck genauer zu analysieren bzw. zu lesen. Ich wünsche, dass ihr dafür die Quittung bekommt mit hunderten von Abokündigungen, und ich werde mich entsprechend dafür einsetzen.

Eva Weber, Berlin

Das Geld, das ihr für so ne Scheiße – auch noch in 4-Farb-Druck – ausgegeben habt, hättet ihr besser für eine Anzeige „Kein Mensch ist illegal“ oder „pro Asyl“ oder „Medico Mondiale“ oder „Terre des Femmes“ ausgeben können. Das wäre tausendmal besser gewesen.

Das war zu viel, das ist kein Scherz mehr! Es gibt keine Zeitung mehr für mich!

Carola B., Oberhausen

taz bleibt taz. Euer Ziel, eine total andere, billige Zeitung zu machen, hat zwar auf den ersten Blick funktioniert, aber gewisse Grundsätze habt ihr doch nicht aufgegeben. Welche billige Zeitung denkt schon an die weibliche Leserschaft und gönnt ihr ein Playmate! Vielen Dank!

Jutta Pohlmann, Düsseldorf

Ganz allgemein möchte ich euch zu eurer Aktion beglückwünschen! In erster Linie finde ich sie humorvoll. Alles andere hätte euch auch nicht zu Gesichte gestanden. Und dann bin ich der Meinung, dass ihr genau auf das richtige Pferd gesetzt habt: Die LeserInnen der taz identifizieren sich wie kaum jemand mit „ihrer“ Zeitung, und deshalb wirkt die Aktion auch. Fazit: Diejenigen, die zum Beispiel wegen der Titten-taz ihr Abo gekündigt haben, haben erstens keinen Humor, und zweitens haben sie kein wirkliches Interesse an der taz.

Inga Bühler, Stuttgart

Jeden Morgen blockieren wir erwartungsvoll das Treppenhaus, um der Zeitungsfrau die taz aus der Hand zu reißen, was bereits drei Postboten dazu brachte zu kündigen. Und jetzt das. Zum Frühstücksei wird uns vorgesetzt, was wir nicht haben. Am Sonntag mussten wir deshalb die Selbsthilfegruppe „Kleine Dinger – na und?!“ gründen. Thema der ersten Sitzung war: „Bin ich eine richtige Frau, wenn meine Dinger kleiner sind als die vom Titel?“ Ein kleiner Trost war der Männerakt im Magazin. Aber Titelseite ist Titelseite. Und unser Recht ist, einen Mann auf dem Titel zu sehen. Dann lohnt sich auch wieder das Warten im Treppenhaus.

Selbsthilfegruppe „Kleine Dinger – na und?!“

Die Wochenendausgabe beweist, dass die taz sehr einem Wolf im Schafspelz ähnelt. Ich glaube, dass die aus Männern und geschlechtsumgewandelten Männern bestehende Zeitung ganz schlitzohrig die Frauenquote schönt. Dem heimtückisch getäuschten Leserinnenvolk kann somit ganz unmerklich die perfide Männergedankenwelt eingeimpft werden. Doch, liebe taz, leider warst du zu ungestüm und hast dich enttarnt. Liebe taz, du bist und bleibst die Beste.

Lajos Kuropka, Ilmenau

Ich habe euren Anpassungsprozess an die Ununterscheidbarkeit verfolgt. Dutzende Male wollte ich mich verabschieden und tat es nicht. Bis zu eurer Billigung der Nato-Aggression habe ich euren Opportunismus gehasst. Danach schlug der Hass in Ekel um. Und jetzt ist es der reine Ekel. Ihr seid aber auch individuell, als taz-MacherInnen, so kaputte ZynikerInnen, dass ihr möglichst schnell von der Medienbühne verschwinden solltet. Ich wünsche euch, dass ihr nach eurem politischen Bankrott möglichst schnell auch betriebswirtschaftlich Bankrott macht.

Wolfgang Ratzel, Berlin

Wenn ihr demnächst eine rassistische, antijudaistische oder nationalistische Ausgabe rausbringt, kündige ich. Wenn ihr das nicht tut, entlarvt ihr euch mit eurer Idee, eine Titten-taz als Beweis für euer Profil rauszubringen, als halb und hohl.

Jörg Hudelmayer

Mal ehrlich: Wenn ich noch kein Abo hätte, jetzt würde ich erst recht keins bestellen, allein schon, um eure Kreativität herauszukitzeln. Ich hätte aber gerne einen hübschen, knackigen Typen im Centerfold. Der Säzzer sieht zwar auch sehr nett aus, aber für Centerfold hätte ich's gern anders.

Henriette Himmelreich, Frankfurt am Main

Ich darf darauf hinweisen, dass ich meine Kündigung nicht ausschließlich mit dieser Ausgabe begründet hatte, sondern mit dem Niveauverfall der letzten Zeit. Eure Beiträge klaffen immer weiter auseinander: Neben vorzüglich recherchierten und geschriebenen stehen großmäulige, reißerisch aufgemachte Umfummelungen von dpa-etc.-Meldungen. Wie kann etwa ein langer Artikel, der meint, Helmut Kohl richtig einschätzen zu können, dessen Landesregierung nach Wiesbaden verlegen – bekanntlich ist dort die hessische anzutreffen?

Wer eure Werbekampagne für toll, toll hält, den habt ihr als Ersatz für meine Wenigkeit verdient. Ein Gastwirt sagte mir mal, wenn die ersten Stammgäste wegbleiben, ist allerhöchste Gefahr im Verzuge. Haltet mal nach, wie lange die jetzigen Kündiger euch abonniert hatten! Meint ihr ernsthaft, dass ich mit eurem Niveau – hasch mich, ich bin die tolle Zeitung – mein politisches und sonstiges Informationsbedürfnis stillen könnte? Ihr schaufelt euch euer eigenes Grab, das ist schade, aber es ist so.

Ekkehard Brunn

Es war zu erwarten, dass sich die Null-Toleranz-Fraktion der LeserInnenschaft echauffiert. Die Titelseite war weniger eine Persiflage auf die Boulevardpresse als ein überdrehtes Kunstprodukt. Wie bei der Schlagzeilenlosen- und der Adels-taz gefiel mir das Spiel mit dem Medium. Und ich freue mich bereits auf die taz ohne Fotos. Allerdings hoffe ich, dass künftige Experimente nicht mehr der Erpressung der LeserInnen dienen, sondern sich in die Tradition der SchriftstellerInnen- und Karikaturen-taz einreihen.

Christoph Danelzik-Brüggemann, Dortmund

Als Joschka-Jahrgang und doch „rechts“ erzogen, komme ich endlich in den Genuss, eine nicht mit Beamtenjournalismus geprägte Zeitung zu lesen. Euer Stil ist erfrischend und informativ zugleich. Schon morgens beim Frühstück kommen mir die Tränen über eure Kommentare, und abends beim Restlesen lege ich die Zeitung mit innerer Zufriedenheit weg.

K.D. Renz, Filderstadt

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