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Philosophie und Linie

Testspiel gegen die Schweiz: Bundestrainer Joachim Löw hat viel gelernt im Land der Eidgenossen

AUS FREIBURG STEFAN OSTERHAUS

Im Spätherbst des letzten Jahres hatte sich Besuch aus der Schweiz in Freiburg angekündigt. Joachim Löw, der Bundestrainer, erwartete Köbi Kuhn, und er empfing den Kollegen Nationaltrainer aus der Schweiz freundlich und mit den angemessenen Ehren. Sie saßen eine Weile zusammen und verglichen ihre Auffassungen vom Spiel, von dem, was Löw seine „Philosophie“ nennt.

Speziell aber ging es um das Unternehmen, eine Mannschaft auf ein Großereignis im eigenen Land einzustimmen. Löw skizzierte die Vorbereitung detailliert, und Kuhn, als Schweizer Kogastgeber der nächsten Europameisterschaft, dürfte einigermaßen zufrieden gewesen sein. Doch alles, sagt Löw in kleiner Runde in Freiburg, „habe ich auch nicht verraten.“ Bei aller Wertschätzung – die letzten Geheimnisse sollen nicht preisgegeben werden, zumal sie Konkurrenten sein könnten. Löw rückt keinen Millimeter von seinem EM-Ziel ab, und von Kuhn werden die euphorisierten Eidgenossen mindestens die Vorschlussrunde erwarten. Heute in Düsseldorf (20.00 Uhr/ZDF) haben sie die Gelegenheit zum Kräftemessen. Ein Testspiel, das für Kuhn wichtiger ist als für den deutschen Kollegen.

Aber immerhin, Löw konnte ein wenig davon zurückzugeben, was er einst in der Schweiz aufgesogen hat. Damals, als Spieler in Schaffhausen unter Rolf Fringer – und an seiner ersten Station als Spielertrainer in Frauenfeld. Fringers Diplomarbeit über die taktischen Finessen der Raumdeckung war damals Lektüre von Löw. Und wäre Fringer nicht gewesen, er wäre vermutlich erst mit erheblicher Verzögerung auf deutschen Trainerbänken gelandet: „1995 fragte mich Rolf Fringer, ob ich sein Assistent in Stuttgart werden wolle. Ich habe eine Weile überlegt. Ich wollte eigentlich gar nicht raus aus der Position. Erstmals die Verantwortung zu haben, das hat mir gefallen.“

Aber er ging heraus und durfte beim VfB die Verantwortung übernehmen, nachdem die Klubführung die Geduld mit Fringer verloren hatte. Er führte die Mannschaft bis ins Finale des Europacups der Pokalsieger. Fringer sieht sich heute bestätigt. Denn schon damals, im kleinen Schaffhausen, haben ihn ein paar Züge am Spieler Löw beeindruckt: „Er hat nie für sich allein gespielt. Er hat immer fürs Ganze mitgedacht.“

Noch immer telefonieren sie ab und zu. Der Kontakt ist nie abgerissen. Wenn es eines gibt, was den Schweizer Fußball der Gegenwart auszeichnet, dann ist es seine Offenheit gegenüber Einflüssen von außen, sagt Löw: „Sie haben immer über die Landesgrenzen geschaut.“ Natürlich sei es auch pure Notwendigkeit, denn ein Verband, der nur einen Bruchteil der Mitglieder der großen europäischen Verbände hat, könne natürlich nicht derart viele Klassekicker hervorbringen. Doch das Ergebnis verblüfft selbst Löw, den Schweiz-Intimus: „Die haben mehr Spieler in europäischen Spitzenligen als die Deutschen.“ Und das, sagt Löw, sei schlussendlich das Ergebnis einer „einheitlichen Philosophie, einer klaren Linie.“ Er findet: „Das ist vorbildlich, was dieses kleine Land da geleistet hat.“ Die Schweizer sieht er im EM-Halbfinale. Der Titel ist ja schon für die DFB-Elf reserviert.

Einer hat es Löw besonders angetan: Philippe Senderos, der Innenverteidiger: „Senderos imponiert mir schon, mit welcher Vehemenz er sich bei Arsenal durchsetzt.“ Ob der auch für Deutschland spielen würde, wenn er einen anderen Pass hätte? Löw laviert geschickt: „Sagen wir mal, ich finde ihn sehr gut.“ Diplomatie für Fortgeschrittene.

Die hat auch Köbi Kuhn erfahren müssen. Der wird sich letzten Feinheiten der EM-Vorbereitung allein erarbeiten müssen.

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