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Die Windeln voll

In der neuen US-Krimiserie „Close to Home“ (21.05 Uhr, Vox) ermittelt eine alleinerziehende Staatsanwältin

Schöne Fernsehpolizistinnen und -staatsanwältinnen ziehen immer. Sie verwickeln sich in spannende Techtelmechtel mit Kollegen, Verdächtigen und Zeugen, außerdem müssen sie als per se gefühlige Frauen täglich aufs Neue den ihnen angedichteten Konflikt zwischen Bauch und Kopf durchstehen. Annabeth Chase, Protagonistin der neuen US-Serie „Close to Home“, schlanke, täglich frisch geföhnte 08/15-Blondine mit Staatsanwaltsrang und den serientypischen Problemen (stutenbissige Kollegin, strenger Chef), beackert dazu noch das medienaffine Thema der working mom.

Chase geht nach dreimonatigem Mutterschutz wieder zurück in den Beruf, um Mörder, Entführer und Kindesmisshandler hinter Gitter zu bringen – vor allem die erste Folge der Vox-Serie gibt sich Mühe, den Hintergrund einer morgens wickelnden, mittags scharf verhörenden und abends auf eigene Faust Gangster jagenden jungen Mutti zu beleuchten. Das klappt in manchen Details, etwa wenn die Staatsanwältin einen Minikühlschrank für ihre abgepumpte Muttermilch einfordert oder sich nach der konfliktreichen Überführung eines brutal-psychotischen Ehemanns und Vaters eigentlich am meisten darüber freut, dass ihre Blage das erste Mal durchschläft – zugegeben, müde Eltern sind keine neue Erkenntnis, aber zumindest scheinen sie damit endlich im Serienformat angekommen zu sein.

Ärgerlicherweise hat „Close to Home“ jedoch ansonsten weder das Rad neu erfunden, noch überzeugt der etwas zwiespältige Patriotismus, der einerseits den Star Spangled Banner in den Vorspann integriert und feste mit dem amerikanischen Justizsystem prahlt – möglichst lange wegsperren, dann wird’s schon was –, andererseits aber auch dessen Lücken aufdeckt: In einer anderen Folge geht es bei Chase und einer Kollegin gleich zweimal um Systemprobleme – Chase entschließt sich, einem verdächtigen Entführer nicht den geforderten Rechtsbeistand zu gewähren, um eventuell ein Leben zu retten (als Mutter kann sie sich natürlich wieder mal gut vorstellen, wie es ist, wenn die Tochter entführt wird), und ihre Kollegin sagt derweil gegen einen fahrerflüchtigen Polizisten aus und kriegt dafür massiv Kollegenschelte.

Vielleicht ist es nicht immer nötig, dem ohnehin nicht selten realitätsnahen Bild einer Ermittlerin eine Familie zur Seite zu stellen, um ihre Gefühlswelt zu erklären: Andere Formate wie das soeben Golden-Globe-gekrönte „The Closer“ mit Kyra Sedgwick als taktlose, aber effektive Detective-Nervensäge Brenda Johnson (übrigens frisch geschieden – was wohl die Haare auf den Zähnen erklären soll) beschränken sich auf die Beschreibung kleiner neurotischer Marotten, um dem Weiblichkeitsbonus gerecht zu werden.

Doch erstaunlicherweise scheinen gerade die deutschen FernsehkrimimacherInnen schon länger auf diesen Aspekt zu setzen: Bei vielen TV-Ermittlerinnen ist das familiäre Umfeld längst fester Bestandteil, es gibt alleinerziehende Väter, streitende Eheleute und natürlich jede Menge desperate Singles. Mal sehen, wann sich das erste Mal eine arbeitende Polizistin und Mutti in einem deutschen TV-Krimi über Eva Herman aufregt. Schön wäre das. Jenni Zylka

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