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Beziehungen in fragiler Schwebe

Die Jugend schweigt: „Jagdhunde“ (Forum), das famose Spielfilmdebüt von Ann-Kristin Reyels

Irgendwo in Brandenburg, in einem kalten Dezember. Henrik (Josef Hader) und sein 16-jähriger Sohn Lars (Constantin von Jascheroff) haben einen alten Bauernhof in der Uckermark bezogen. Die dazugehörige Scheune soll zu einem Hochzeitshotel umgebaut werden, aber außer der Absicht kann Henrik bislang wenig vorweisen. Seine Ehe ist immerhin gerade in die Brüche gegangen. Es geht in „Jagdhunde“, dem famosen Spielfilmdebüt von Ann-Kristin Reyels, mithin darum, wie Verbindungen eingegangen und Neuanfänge vollzogen werden können. Mit beidem liegt es im Argen. Vater und Sohn leben isoliert, die Bevölkerung begegnet den Neuankömmlingen entweder mit wortloser Indifferenz oder mit offener Ablehnung.

Alle unbeholfenen Versuche des entscheidungsschwachen Henrik, die Blockade zu überwinden, scheitern schon im Ansatz. In den gefrorenen Äckern der Gegend lassen sich keine Wurzeln schlagen, dennoch sitzt man hier nun einmal fest. Schlimmer noch: Weihnachten, das Fest der zwangsverordneten Harmonie, rückt immer näher, während auch Lars und Henrik sich zusehends entfremden. Die Entdeckung, dass ausgerechnet seine Tante die neue Geliebte des Vaters ist, lässt Lars nur noch mehr auf Distanz gehen. Als dann auch noch die Mutter in Begleitung ihres Neuen auftaucht, spitzt sich die Situation zu.

Lars flüchtet sich in die Bekanntschaft mit der stummen Marie (Luise Berndt), gemeinsam entkommen die beiden der Erstarrung ihrer Umgebung. Die Erwachsenen haben sich nichts mehr zu sagen, die Jugend bedarf keiner Worte, um sich zu verstehen. Eine Annäherung zwischen Zugezogenen und Dorfbewohnern scheint kurzzeitig als Möglichkeit auf, vergeht aber ebenso schnell wieder. Reyels beschreibt in elliptischer Erzählung lauter Zustände und Beziehungen in fragiler Schwebe, wie ein Spaziergang über einen leicht zugefrorenen See. Immer kann eine verirrte Kugel nachts im Wald unmittelbar neben einem einschlagen, immer kann eine alte Leidenschaft wieder aufbrechen. Krise und Hoffnung liegen dicht beieinander.

Während Marie und Lars mit Wolfsmasken durch die verschneite Landschaft toben, sich gegenseitig spielerisch anblaffen und dabei umwerben, tragen die Erwachsenen an der gedeckten Festtafel ihre eigenen Gesichter als Larven und geben unsicher vorgetragene Versionen von Schuberts „Winterreise“ zum Besten. DIETMAR KAMMERER

„Jagdhunde“. R.: Ann-Kristin Reyels. D 2007, 86 Min. 9. 2., 19 Uhr, Delphi; 10. 2., 12.30 Uhr, Arsenal; 11. 2., 20 Uhr, Colosseum; 18. 2., 17.30 Uhr, Cinestar

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