: Die Blutspur am Fenster
Mit „Das Haus der Lerchen“ (Berlinale Special) haben die italienischen Brüder Taviani den Völkermord an den Armeniern als Verschnitt aus opulenter Drastik und zuckriger Lovestory verfilmt
VON DANIEL BAX
In Atom Egoyans „Ararat“, dem bislang bekanntesten Film über den Völkermord an den Armeniern, spielt Charles Aznavour einen armenischen Filmproduzenten. Dieser dreht einen Film über die Massaker, einen Historienschinken, der die schrecklichen Ereignisse von 1915 in Hollywood-Manier möglichst originalgetreu nachstellt und zugleich effektvoll in Szene setzt.
Solch einen Film gab es in Wirklichkeit bislang nicht. Die beiden italienischen Starregisseure Paolo und Vittorio Taviani haben ihn nun gemacht. „Das Haus der Lerchen“ erzählt von einer armenischen Familie, die im Zuge der Verfolgungen fast vollständig ausgelöscht wird.
Atom Egoyan traute dem klassischen Erzählkino nicht zu, den Genozid begreifbar machen zu können. Die Taviani-Brüder dagegen vertrauen voll und ganz auf die emotionale Wirkung des konventionellen Gefühlskinos; allerdings ist ihre Umsetzung erstaunlich bieder geraten.
Als Grundlage diente ihnen ein Roman der italienisch-armenischen Autorin Antonia Arslan, der in Italien ein Bestseller war, und akribisch halten sie sich an den historischen Rahmen: Sie zeigen die Geheimversammlung der jungtürkischen Offiziere, die in Istanbul mit paranoiden Argumenten die Vernichtung der armenischen Minderheit planen. Und sie zeichnen die Todesmärsche nach, bei denen Tausende in die Wüste von Aleppo geschickt wurden: Die Frauen sind Freiwild für die Soldaten, die den Tross begleiten; manche werden gezwungen, ihre neugeborenen Babys zu töten. Solche Szenen machen den Film nur schwer erträglich und bilden einen merkwürdigen Kontrast zur ansonsten eher zuckrigen Kostümfilmästhetik.
Schon zu Beginn des Films kündigt sich das drohende Unheil drastisch an: Im Landhaus der Familie, der „Lerchenfarm“, liegt der Großvater und Familienpatriarch auf dem Sterbebett. Als sich ein Enkel zu ihm ins Zimmer flüchtet, hat er eine Erscheinung: Ein dicker Blutstrahl spritzt ans Fensterglas. Später wird das Blut des Vaters, der von einem türkischen Soldaten mit einem plötzlichen Schwerthieb geköpft wird, auf die gleiche Weise ans Fenster spritzen.
Man kann solche Symbolik platt finden oder es als abgeschmackt beklagen, dass die Taviani-Brüder in all dem Grauen immer noch Platz für eine Liebesgeschichte finden. Ausgerechnet zwischen einem türkischen Soldaten (Moritz Bleibtreu), der widerwillig den Treck der Todgeweihten begleitet, und der stolzen Armenierin Nunik entspinnen sich zarte Gefühle. Am Ende wird er sie mit eigener Hand umbringen, um ihr die Folter zu ersparen.
Die rein formale Kritik wirkt allerdings geschmäcklerisch, wenn man bedenkt, dass der Massenmord an den Armeniern, im Unterschied etwa zu den Gräueln der Nazi-Zeit, eben noch nicht hundertfach im Kino abgebildet wurde. Der Film der Tavianis will keine plumpe Anklage „der Türken“ sein, aber ein Appell gegen das Vergessen. Und so liegt seine überragende Bedeutung vor allem darin, dass er zeigt, was als historisches Wissen zwar bekannt, aber im Film bislang noch keine populäre Darstellung gefunden hat.
Denn gerade weil der Film so konventionell gestrickt ist, könnte das „Haus der Lerchen“ ein breites Publikum finden und ebenso breite Debatten provozieren – vor allem in der Türkei, wo er hoffentlich eines Tages zu sehen sein wird. Auch in Deutschland war es schließlich hauptsächlich Konfektionsware wie „Schindlers Liste“ oder die TV-Serie „Holocaust“, die Anstöße zu einer öffentliche Auseinandersetzung gab, und nicht das anspruchsvolle Filmschaffen.
Selbst Atom Egoyan könnte das am Ende so sehen: Immerhin spielt seine Ehefrau, die kanadisch-armenische Schauspielerin Arsinée Khanjian, im „Haus der Lerchen“ eine Hauptrolle.
„Das Haus der Lerchen“. Regie: Paolo Taviani, Vittorio Taviani. Mit Paz Vega, Moritz Bleibtreu, Alessandro Preziosi, Ángela Molina. Italien/Bulgarien/Spanien/Frankreich 2007, 122 Min. Heute, 17.45 Uhr, Cubix
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