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Der Gefallsüchtige

20 Jahre nach Andy Warhols Tod ist Kunst mehr denn je eine Frage des Marktes und der Celebrity Culture

In einer Situation wie der heutigen, wo Preisrekorde auf Auktionen regelmäßig mit künstlerischer Bedeutung verwechselt werden, bietet sich Andy Warhol als Korrektiv an. Denn er gehörte – neben Marcel Duchamp, Yves Klein oder Marcel Broodthaers – zum Typus des marktreflexiven Künstlers. Darin liegt meines Erachtens seine Aktualität. Marktreflexiv zu sein heißt in seinem Fall, dass ein illusionsloser Blick auf das Geschehen eines Marktes geworfen wird, als dessen Akteur man sich aber auch begreift. So wie Warhol die zunächst geringen Preisentwicklungen seiner eigenen Bilder genau verfolgte, suchte er auch nach Erklärungen für die Ablehnung, die sein Frühwerk durch Sammler, Kritiker oder Künstlerkollegen wie Rauschenberg oder Johns erfuhr.

Man kann es gar nicht oft genug betonen: Die ernsthafte kunsthistorische Rezeption seines Werkes setzte erst nach seinem Tod mit einem von Gary Garrels organisierten Symposium in der Dia Art Foundation (1989) ein. Suspekt machte ihn vor allem, dass Marktreflexion und Marktkonformität bei ihm so eng beieinander lagen. Statt dem traditionellen Bild des darbenden Bohemekünstlers zu entsprechen, hatte er viel Geld als kommerzieller Künstler verdient. Er trat als „Quereinsteiger“ in den Kunstbetrieb ein, unter Umgehung der üblichen Initiationsriten. Stattdessen betätigte er sich als Sammler und kaufte die Arbeiten seiner Kollegen, was deren Unmut nur steigerte. Erschwerend kam hinzu, dass Warhol dem Kunstbetrieb alter Ordnung – und mit diesem hatte man es in den 60er-Jahren strukturell immer noch zu tun – einiges zumutete: Er kultivierte das Bild eines Künstlers, der keine Ideen zu haben vorgibt, sich ostentativ als „commercial artist“ bezeichnet und einen Großteil seiner fließbandförmig produzierten Arbeit in der „Factory“ auch tatsächlich aus der Hand gibt. Bei jeder Gelegenheit insistierte Warhol darauf, die Malerei zugunsten anderer Aktivitäten wie der Produktion von Undergroundfilmen aufgegeben zu haben. Dem puritanischen Mainstream-Amerika konnte es nicht gefallen, dass sich hier jemand offen mit Dragqueens, Drogensüchtigen und Freaks umgab. Heute mag Transgression die Regel sein, damals vermochte sie noch Anstoß zu erregen.

Auch die Akteur/innen des Kunsthandels waren auf eine solche Klientel nicht eingestellt. Kunsthändler wie Ivan Karp, die Warhol eigentlich die Stange hielten, äußerten ihr Befremden darüber, dass er sich mit derart „destruktiven“ Charakteren umgab. Mit einem Selbstverständnis, das die eigene Fernsehshow zum größten Ziel erklärte, nährte Warhol den im Kunstbetrieb gerne gehegten Zweifel an seiner künstlerischen Ernsthaftigkeit.

Diese Außenseiterposition ermöglichte es ihm aber auch, nicht in den Chor der Kunstgläubigen einzustimmen. In dem Buch „Popism“ äußerte er sein Befremden darüber, wie hartnäckig einige Leute an ihren Illusionen über Kunst festhalten würden. Dem Glauben, dass Kunst und Künstler/innen etwas Besonderes seien, hatte Warhol in demselben Maße abgeschworen, wie er auf ihn angewiesen war und ihm sogar zuspielte. Ein unverzichtbarer Mythos. Während sich seine Umgebung dem Ausgehen, den Partys und den Exzessen verschrieb, sorgte Warhol dafür, dass die Produktion von Bildern und teuer bezahlten Auftragsporträts am Laufen blieb. Für seine Siebdrucke stellte er sicher, dass sie Zeichen seiner individuellen Signatur aufwiesen. Er grundierte sie mit einem Farbauftrag, der einen deutlich malerischen Gestus aufwies.

Als Künstler vom Rang eines Picasso anerkannt zu werden – das war sein größter Traum. Im Anschluss an eine Paris-Reise stellte er sich denn auch vor allem die Frage, ob Picasso wohl seinen Namen in der Presse gelesen habe? Die Anerkennung durch Picasso bedeutete ihm weit mehr als alle Berichte in der Life-Style-Presse. Am Ende waren es künstlerische Kriterien, denen Warhol mehr Autorität zuschrieb als medialer Beachtung oder ökonomischem Erfolg. Dass die eine Anerkennung die andere nicht ausschließt, hatte allerdings Picasso selbst (und nach ihm Pollock) bewiesen. Wie kein anderer hat Warhol freilich die Gesetze der derzeit vielbeschworenen „Celebrity Culture“ studiert. Was bei ihm noch eigenwillige Vorlieben waren (für Gossip, das Leben der Stars, Mode oder diätische Fragen), gehört heute zum Erfolgsrezept einer Wachstumsbranche, an der sich mittlerweile auch ehemals seriöse Feuilleton-Redaktionen orientieren. ISABELLE GRAW

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