Der diskrete Charme

Starke Signaturen: Mit der Amalgamierung von Künstler und Werk arbeitet Erik Schmidt als Maler, Filmemacher und Fotograf. In seiner Ausstellung „Hunting Grounds“ im MARTa Herford widmet er sich der Jagd und dem Stilwillen von Jagdgesellschaften

Malen ist eben eine künstlerische Gepflogenheit, die zu bewahren ist: eine präparierte Fährte, um die Meute in Galerien zu locken

von BRIGITTE WERNEBURG

Es käme einem Wunder gleich, wäre Erik Schmidt nicht in der „Welt mit Kunst bewirtschafteter Wände“ (Wolf Wondratschek) vertreten. Selbstverständlich hängen seine Arbeiten in der Rubell Family Collection in Miami und der Ovitz Family Collection in Los Angeles – neben Gemälden der Leipziger Schule von Matthias Weischer oder Tim Eitel, um nicht gleich die ganze Liste zu nennen. Zu viele Aspekte seines Werks, das zeigt Erik Schmidts große Einzelausstellung „Hunting Grounds“ zurzeit im MARTa Herford, müssen Menschen betören, denen das Sammeln zeitgenössischer Kunst als die Krönung ihres gehobenen Lebensstils gilt.

Da ist zunächst der auffallend pastose Farbauftrag, der als verlässliche, jederzeit zuzuordnende Signatur fungiert. Dieser Signatur arbeitet auch die Amalgamierung von Schmidt und Schmidts Werk zu, klebt doch „an allem, was Erik Schmidt zeichnet, malt, fotografiert, filmt oder installiert“, wie Matthias Mühling im Katalog schreibt, „unablöslich der Künstler Schmidt“ selbst. Mit seiner jederzeit identifizierbaren Handschrift und dem Offenlegen seiner persönlichen ästhetischen Ressourcen – etwa der immer wieder thematisierten Homosexualität –, die damit integraler Bestandteil seines künstlerischen Werks sind, erfüllt Erik Schmidt wesentliche Erwartungen des Markts.

Im Grunde genommen stellt diese, vom Kunstmarkt so heftig hofierte, dichte Verwebung von Person und Werk einen Rückfall in die Kunst-, vor allem aber die Literaturkritik des 19. Jahrhunderts dar, als die literarische Interpretation eines Werks primär biografisch, an der Person des Autors ausgerichtet war. Das aber kann heute nicht ernsthaft im Interesse der Künstler sein. Schließlich sind sie als „Maler des modernen Lebens“ darin geschult, ihre Arbeit immer in Reflexion der Kunst- und Medien-, aber auch der (subkulturellen) Alltagsgeschichte zu entwerfen. Tatsächlich ist es in „Hunting Grounds“ lohnenswert und aufschlussreich zu beobachten, wie Erik Schmidt mit exakt den gleichen Mitteln, mit denen er den Kunstmarkt bezirzt, auch wider dessen Stachel löckt.

Anders als die so erfolgreiche Neue Leipziger Malerschule, in deren Windschatten auch Erik Schmidts figurative Malerei, wie er selbst eingesteht, einige Fahrt aufnahm, schreckt er vor einer deutlichen Verortung seiner Bildmotive nicht zurück. Während sich die Leipziger Künstler dank allerlei neosurrealer und pseudometaphysischer Figurationen gerne um eine klare Aussage drücken, obwohl sich ihre malerische Haltung vorrangig narrativ definiert, lässt „Hunting Grounds“ am gewählten Motiv und der wiedergegebenen Situation keinen Zweifel zu. Erik Schmidt ist auf der Jagd.

In satten Farben und auf großem Format beobachtet er in „Eine Frage des Glaubens“ (2006) zwei Männer, die ein totes Reh aus dem Wald tragen. „Jeder Mann sollte Jagen“ (2005) zeigt einen wackeren Weidmann, der gerade sein Gewehr anlegt. „Manchmal ist die Jagd wie im Märchenbuch“ (2005) ist das Stillleben einer Strecke erlegter Füchse.

Schmidts unzeitgemäße Motive fördern die Erinnerung an einen Dialog in Edward St Aubyns Neuerscheinung „Schöne Verhältnisse“ zu Tage, der die britischen und damit maßgeblichen Verhältnisse zitiert: „Sie sind doch wohl nicht gegen die Jagd?“, fragte Nicholas mit einem unausgesprochenen „auch noch“. „Wie könnte ich?“, fragte Anne zurück. „Ein Vorurteil der Mittelschicht, das sich aus Neid speist. Habe ich das korrekt wiedergegeben?“

In diesem Licht erscheinen Erik Schmidts Jagdmotive nicht wirklich unzeitgemäß, sondern nur elitär – und damit doch schon wieder sehr zeitgemäß. Darin liegt auch ihre eigentliche Provokation. „Hunting Grounds“ meint keineswegs nur den westfälischen Adel, den Schmidt bei der Jagd begleitete und beobachtete. Die Werkgruppe zielt ganz generell auf die Spielwiesen einer anspruchsvollen Klientel, die er mit dem Bild ihrer eigenen Begehrlichkeiten konfrontiert. Da ist der Kunstsammler auf der Jagd nach der heißesten Ware genauso inbegriffen wie der Vier-Sterne-General der US-Army auf der Pirsch nach dem kapitalen Bock (wie es einmal in westdeutschen Staatsforsten üblich war) oder der schwule Cruiser auf der Suche nach dem ultimativen Aufriss. Anders als die Leipziger Maler erlaubt es Erik Schmidt dem Betrachter seiner Bilder nicht, sich in der eleganten Beobachterposition aus dem gesellschaftlichen Off zu wähnen.

Das gilt auch für ihn selbst, wie die titelgebende, zentrale Videoarbeit der Ausstellung zeigt. „Hunting Grounds“ schneidet zwischen den Szenen einer festlichen Abend- und einer rot befrackten Jagdgesellschaft hoch zu Ross, hin und her. Dazwischen tritt ein einzelner Schütze auf, der im Unterholz sein Gewehr abfeuert und dabei einen städtisch gekleideten Waldgänger, genauer gesagt, Erik Schmidt zu Tode erschreckt. Während sich die Hundemeute, der die Reiterschar folgte, um die gefakte Beute balgt, kommt es auch zwischen dem Schützen und dem Spaziergänger zu einer Balgerei, die nun wiederum den Jäger zu Tode erschreckt. Denn Schmidt nutzt den begütigenden Schulterschlag, mit dem sich der Grünrock bei ihm entschuldigt, sofort aus, um sich in sexueller Absicht ganz auf ihn zu werfen.

Erik Schmidt hat den 15-minütigen Film auf Schloss Wendlinghausen gedreht. Seine Darsteller sind dessen Besitzer Elisabeth, Caroline und Joachim von Reden und deren Freunde, unter anderen Donata und Hubertus von Daniels-Spangenberg oder Matthias Graf von Westphalen, der Schauspieler Jürgen Lehmann und er selbst. Natürlich liegt es nahe, im Video vor allem eine Parabel auf die je besondere gesellschaftliche Außenseiterposition des Künstlers, des Homosexuellen, aber auch des Adels zu sehen. Da jedoch Schmidt in seinem Film den narrativen Aspekt zugunsten des visuellen weitgehend zurückdrängt – es gibt zum Beispiel kaum Ton, schon gar nicht sind Gespräche zu hören –, fällt viel stärker die museale Anmutung der Bilder auf. Tatsächlich ist die Verfolgung des Wilds mit Pferden und Hunden, die gezeigte Schleppjagd, eine unblutige Pflege der Tradition in Deutschland und ein Ritual, in dem althergebrachte Formen und Gepflogenheiten gewahrt werden.

Dieser Clou von „Hunting Grounds“ darf nun wirklich als Parabel auf Erik Schmidts künstlerische Haltung verstanden werden. Am Ende interessieren ihn Form und Material mehr als die inhaltliche Aussage, die in den figurative Szenen festzumachen so einfach scheint. In der Retrospektive seiner frühen Arbeiten, in der neben der Zeichnung und der Fotografie vor allem dem Film eine wesentliche Rolle zukommt, ist Malen eben eine künstlerische Gepflogenheit, die zu bewahren es wert ist: eine präparierte Fährte – die die Meute in die Galerie und auf die Messen lockt.

Doch nur wer sie als solche erkennt, befindet sich mit dem Künstler auf Augenhöhe, der multimedial eine Wirkungsgeschichte der Ästhetik von Form, Material und Gestik verhandelt. Dazu taugt die Jagd, aber auch das modernistische Ambiente des Plattenbaus oder Mode und Ausgehen. Dabei arbeitet Erik Schmidt mit unterschiedlichsten Modi der Abstraktion; am auffälligsten wird das bei der Farbe, die er so dick aufträgt, dass eine Nahsicht der Leinwand nur noch Material, Pinselbewegung und sich daraus ergebendes Ornament zeigt, während das Bild verschwindet. Es ist ein diskreter Charme, mit dem Erik Schmidt dem Kunstmarkt sein Experimentieren mit den Erscheinungsweisen ästhetischer Präsenz als Salonmalerei verkauft.

Im MARTa Herford in 32052 Herford, bis 11. März, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 35 €