: „Historisch belastet“
BOYKOTT Keine israelische Waren zu kaufen, fordert heute das Friedensforum vor einem Supermarkt
■ 65, ist für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft und Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Bremen.
taz: Herr Kuhn, werden sie heute bei Rewe in der Wachannstrasse demonstrativ einkaufen?
Hermann Kuhn: Ob ich da einkaufe ist nicht wichtig. Das Bremer Friedensforum macht davor eine provokante Aktion für den Boykott israelischer Waren und will austesten, wie weit man in Deutschland gehen kann. Das sollte nicht unwidersprochen bleiben.
Warum?
Auch die Aufrufenden wissen, dass ein Boykott israelischer Waren ähnlich klingt wie „Kauft nicht bei Juden“. Der Unterschied kann noch so oft behauptet werden, es ändert nichts daran.
Der Appell wird auch von Jüdinnen und Juden unterstützt…
Gott sei dank gibt es eine jüdische Kritik, aber sich dahinter zu verstecken ist mies. Der Eindruck, es handele sich um einen weltweiten jüdischen Appell ist infam. Es ist der berühmte Jude, den die Judengegner anführen. Man ist doch selbst verantwortlich für das, was man sagt.
Ist der undeklarierte Export von Waren aus den besetzten Gebieten nicht illegal?
Es gibt ein Urteil der EU, welches sich auf Zölle bezieht. Es geht um Vergünstigungen, die nicht sinnvoll erscheinen. Es ist aber keine Frage des Völkerrechts, wie es behauptet wird. Wichtig ist: Der Ausgangspunkt für die Besetzung war der Krieg 1967, bei dem Israel viele Feinde gegenüberstanden, die die Juden ins Meer treiben wollten.
Und eine Verbesserung der Lage der Palästinenser?
…erreicht man durch Verhandlungen mit beiden Seiten über eine Zweistaatenlösung, nicht durch 100% einseitige Schuldzuweisung gegenüber Israel. Zweifellos gibt es vieles, das die Lage der Palästinenser erschwert. Aber ein Boykott ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Es werden auch Waren von arabischen Firmen unter dem Label „Made in Israel“ vertrieben. Im Westjordanland gibt es gerade einen Wirtschaftsboom. Weil es lange ruhig war, verbessert sich die Lage, die israelischen Kontrollen nehmen ab.
Aber Boykott schafft Aufmerksamkeit.
Warum gibt es keine Aufrufe gegen libysche Waren oder iranische Waren? Es ist auch etwas anderes, bestimmte Waren zu sanktionieren, die zur Unterdrückung oder fürs Atomprogramm verwendet werden. Unter allen Konflikten gibt es in Deutschland nur Aufrufe gegen die Israelis. Das muss man sich schon überlegen, wenn man derart historisch belastete Formulierungen veröffentlicht. INTERVIEW: JPB