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Der andere Blick auf das Klonen

Warum hat es das Klonschaf Dolly geschafft, so berühmt zu werden, fragten sich Wissenschaftshistoriker auf einer interdisziplinären Tagung am Max-Planck-Institut in Berlin. Dabei gab es das Klonen doch schon viel früher

Da schnürt sich die Zelle durch, aber die Erbsubstanz im Kern hat das Nachsehen

VON ELKE BRÜSER

Als vor zehn Jahren „Dolly“ das Licht der Welt erblickte, war der öffentliche Rummel groß. Das geklonte Schaf schaffte es nicht nur auf die Titelseite von Nature, sondern auch von tonangebenden Printmedien wie Newsweek. Das Tier war eine fast hundertprozentige Kopie seiner leiblichen Mutter, die es zwar nicht ausgetragen hatte, aber deren Zellkern einer kernlosen Eizelle neues Leben eingehaucht hatte. Dolly ist das erste Säugetier gewesen, das durch Kerntransfer entstanden ist.

Dem Team von Ian Wilmut am Roslin-Institut im schottischen Edinburgh war es damals gelungen, den Kern samt Erbinformation einer Schafeizelle zu zerstören und sie mit dem Kern einer Euterzelle neu zu bestücken. Die Folge: regelmäßige Zellteilungen, so dass ein Zellhaufen (Morula), daraus eine Art Zellkugel (Blastula) und schließlich ein Embryo entstand.

Was vor kurzem die Wissenschaftler auf der Tagung „Times of cloning“ am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte beschäftigte, war nicht nur die Frage, warum Dolly diese anhaltende Debatte über die ethischen Implikationen, die juristischen Folgen und die Möglichkeit einer Vervielfachung menschlicher Identität auslöste. Die Tagungsteilnehmer wollten auch eruieren, warum nicht schon dreißig Jahre vor Dolly etwa der Entwicklungsbiologe Sir John Gurdon aus Cambridge diese Debatte losgetreten hat, nachdem es ihm gelungen war, mit Hilfe von Darmwandzellen erwachsener Krallenfrösche Kaulquappen zu klonen. Oder warum es 1889 ruhig blieb, als dem deutschen Biologen Theodor Boveri auf sonderbare Weise der erste Kerntransfer gelang.

Boveri hatte entkernte Eizellen und fremde Zellkerne neu zusammengewürfelt, indem er die Eizellen von Seeigeln kräftig schüttelte – dabei genau genommen auseinanderbrach – und anschließend mit dem Sperma einer anderen Seeigelart befruchtete. Unter den Larven waren kleinförmige Kreaturen, deren Erbgut allein und ausschließlich vom fremdartigen Vater stammen konnte.

Viele Antworten finden Wissenschaftshistoriker auf die Frage, warum gerade Dolly so bedeutsam war. Nicht immer spiele der wirkliche Durchbruch eine Rolle, so sei auch Mendel zunächst vergessen worden. Oder: Dolly sei eben „kein Frosch“, sondern niedlich und ein Säugetier gewesen. Oder: Erst in den siebziger Jahren habe sich ein Interesse an der naturwissenschaftlichen Forschung formiert, das – wo es notwendig erscheine – nach der Verantwortung von Wissenschaftlern rufe.

Wissenschaftshistoriker wollen auch wissen, warum nur ein einziges Lamm aus Wilmuts Experiment mit 277 entkernten Eizellen hervorgegangen war. Und welche todgeweihten Zellhaufen oder Klonmonster aus den anderen Zellen entstanden sind. Vor allem zwei Experten der Stammzellforschung nahmen dazu in Berlin Stellung: Der eine, Sir John Gurdon, Paul-Ehrlich-Preisträger, und am Zenit seines Ruhmes angekommen, der andere, Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin. Gurdon beschrieb, dass die Teilung von Kern und umgebendem Zellplasma nach einem Kerntransfer oft schlecht synchronisiert ist. Da schnürt sich die Zelle durch, aber die Erbsubstanz im Kern hat das Nachsehen. Sie verbleibt in einer der Tochterzellen. Die andere geht leer aus. Vieles spricht dafür, dass in solchen Fällen die Reprogrammierung des Kerns, der aus einer ausgereiften Darm-, Muskel- oder Nervenzelle stammt, noch nicht weit genug ist.

Andere Probleme resultieren daraus, dass dem Kern das Zellplasma der Eizelle fremd ist, sodass die üblichen Austauschprozesse zwischen Kern und Umgebung fehllaufen. Möglicherweise funktionieren die „autoregulativen Zirkel“ nicht mehr zuverlässig, meint Gurdon. Vor allem aber stört bei der Reprogrammierung das Kerngedächtnis: Der Kern „weiß“, aus welchem Gewebe er stammt. Und die Gene, die dieses Gewebe regulieren, bleiben dauerhaft stärker aktiv. „Auch das“, sagt Gurdon, „könnte erklären, warum so viele abnormale Klone entstehen.“

Unvollständige Reprogrammierung lässt sich am ehesten an dem Stammzellmarker Oct4 erkennen – ein Gen, das viele andere Gene aktiviert. Oct4 ist umso prominenter, je weniger spezialisiert eine Zelle ist. Auch Michele Boiani möchte das Geheimnis lüften, warum er beim Transfer identischer Zellkerne in hundert entkernte Mauseizellen meist nicht mehr als einen Mausklon zustande bringt. Wobei manche das dreifache Gewicht ihrer natürlich gezeugten Artgenossen auf die Waage bringen und andere – obwohl genetisch gleich – mal mit und mal ohne Schwanz auf die Welt kommen.

Kritisch sieht er, dass bei hundert Klonversuchen im Schnitt auch nicht mehr als fünfundzwanzig Zellhaufen, aus denen sich funktionstüchtige embryonale Stammzellen gewinnen lassen, herauskommen. „Denn was passiert, wenn embryonale Stammzellen genutzt werden, aus denen nie ein Embryo entstanden wäre?“, überlegt Boiani. Sie könnten ja Defekte haben, die auch dem Patienten schaden.

Boiani findet zudem, dass Oct4 und andere Faktoren, die die Genexpression regulieren, bei Klonen in anderer Konzentration vorkommen. Aber einen Reim kann er sich auf diese Befunde noch nicht machen. Das gilt auch für seine Beobachtung, dass es für den Erfolg seiner Klonexperimente eine Rolle spielt, in welchem Kulturmedium die künstlichen Zellhaufen heranwachsen. „Wir kennen die chemische Zusammensetzung der Nährlösungen, aber welche Faktoren dabei ausschlaggebend sind, wissen wir nicht.“ Wenn Forscher darunter leiden, dass sie die Gründe ihres Scheiterns nicht kennen und das passende Experiment nicht in Sicht ist, wird es für Wissenschaftshistoriker richtig spannend. Christina Brandt vom Berliner MPI erklärt: „Wir untersuchen zum Beispiel anhand von Laborberichten und Aufsätzen, wie sich Theoriebildung, der Entwurf des richtigen Experiments, Auswertung und Rekonstruktion der Theorie abwechseln. Welche neuen Experimente gehen aus unbeantworteten Fragen hervor?“

Dass nicht nur die Qual der richtigen Forschungsstrategie, sondern auch der Erfolgdruck in der Stammzellforschung hoch ist, ist spätestens durch die Betrügereien des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo Suk öffentlich. Herbert Gottweis, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, hat Aufstieg und Fall des Datenfälschers analysiert. Er betonte vor allem, dass Hwang sein Schicksal eng mit dem Siegeszug der biomedizinischen Forschung Südkoreas verknüpft hatte. Das hob ihn weit empor und ließ ihn später tief fallen. Von solchen Analysen könnten Biowissenschaftler profitieren, meinte Gottweis beim Round-Table-Gespräch unter dem Motto „Was nützt Wissenschaftsgeschichte der biomedizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung?“

Hans-Jörg Rheinberger, Direktor am MPI in Berlin Dahlem, hat da einen anderen Blickwinkel und beantwortete die Frage mit einem schlichten: „Gar nicht.“ Er hat darin prominente Unterstützung. Denn tags zuvor hatte Sir John Gurdon klipp und klar mit britischem Understatement formuliert: „First you need the molecular markers.“ – zuallererst brauchen wir die molekularen Marker. Also das richtige Werkzeug, um die Prozesse in der Zelle zu verstehen.

So gesehen sind für forschende Naturwissenschaftler die längst überholten Experimente von Boveri und seinen Zeitgenossen oder die ethischen, juristischen oder politischen Konsequenzen ihrer Resultate eher Beiwerk – solange sie ihre Experimente nicht blockieren. Einig waren die Konferenzteilnehmer sich in einem: Tagungen wie diese sind das Salz in der Suppe. Vom Austausch der Ergebnisse, und Interpretationen profitieren alle Teilnehmer. Rheinberger, Philosoph und Molekularbiologe, hat schließlich nochmals betont, worum es vor allem geht: „Die Naturwissenschaften in den Geisteswissenschaften zu implementieren.“

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