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Archiv-Artikel

Voyeure in Uniform

Die Kontrolle von NRW-Bürgern wird ausgefeilter, private Lebensräume zunehmend durchforstet: Die Datenschutzbeauftragte wirft dem Staat Maßlosigkeit bei der Überwachung von Menschen vor

VON DIRK ECKERT

Der Staat greift ungehemmt in die Privatsphäre seiner Bürger ein. In vielen Behörden würden „Maßlosigkeit und zweifelhaftes Präventionsdenken“ herrschen, kritisierte die Landesdatenschutzbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, Bettina Sokol. Die Möglichkeiten zur Erfassung und Kontrolle von privaten Daten würden immer ausgefeilter, sagte Sokol gestern in Düsseldorf. Sie stellte den 18. Datenschutz- und Informationsfreiheitsberichts vor.

Besonders kritisierte Sokol das erst im Dezember geänderte Verfassungsschutzgesetz NRW. Es erlaube staatliche Online-Durchsuchung von Computern und treffe „keinerlei Vorkehrungen“, die Privatsphäre zu schützen. Der Verfassungsschutz sei „nicht davor gefeit, auf intimste Daten zu stoßen“, sagte Sokol. „Es gibt einen Kernbereich privater Lebensgestaltung, aus dem sich der Staat raushalten muss.“ Auch das heimliche Vorgehen der Staatsschützer sei „außerordentlich problematisch“. Dass der Bundesgerichtshof diese Woche Online-Durchsuchungen der Polizei für illegal erklärt hatte, sei ein „Sieg des Rechtsstaates“.

In ihrem Datenschutzbericht listet Sokol zahlreiche Beispiele auf, wie in den Jahren 2005 und 2006 in NRW der Datenschutz verletzt wurde – etwa durch Videoüberwachung in Innenstädten oder durch die personalisierte Ticketvergabe bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Positiv vermerkte Sokol, dass das Schulministerium die Pläne der Kultusministerkonferenz für eine bundeseinheitliche Schülerdatei gestoppt hat. Sie betonte, dass die Video-Überwachung von Klassenzimmern verboten bleibe.

Alarmiert ist die oberste NRW-Datenschützerin durch die geplante Vorratsspeicherung. Wenn Emails, Telefondaten oder Internetbesuche ein halbes Jahr gespeichert würden, entstünde ein „Komplettabbild“ der Bevölkerung. „Wo Datenmengen angehäuft werden, gibt es auch Begehrlichkeiten“, warnte sie. Die entsprechende EU-Richtlinie dürfe nicht umgesetzt werden, bevor der Europäische Gerichtshof darüber befunden hat.

Dass staatliche Stellen den Datenschutz missachten, hat man auch beim Bielefelder Datenschutzverein Foebud registriert. „Der Kontrollwahn von Leuten in verantwortlichen Positionen wird immer größer“, sagte Vorstandsmitglied padeluun der taz. Er kritisierte, dass die Datenschutzbeauftragte nicht gut genug ausgestattet sei. „Sie muss schneller reagieren und auch von sich aus aktiv werden können“, sagte er. „Aber die personelle Ausstattung erlaubt das oft nicht.“ Außerdem sei die NRW-Datenschutzbeauftragte nicht unabhängig genug. Padeluun verweist auf Schleswig-Holstein: Dort ist ein „Unabhängiges Landeszentrum“ für den Datenschutz zuständig, finanziert durch den Haushalt des Parlaments. Als Anstalt des öffentlichen Rechts ist es unabhängig in seiner Personalpolitik. In NRW kommen Datenschützer und Finanzen vom Innenministerium.