Ab ins Ghetto

Den ersten ALG II-EmpfängerInnen wurde die Miete bereits als „unangemessen hoch“ gekürzt, doch wer umziehen will, findet nichts. Billigen Wohnraum gibt es, wenn überhaupt, nur in Brennpunkten

von Jan Zier

Wenn am Donnerstag die Sozialdeputation der Bürgerschaft tagt, dann steht eine Anhebung der zulässigen Mieten für ALG II-EmpfängerInnen nicht auf der Tagesordung. Dabei wäre das dringend erforderlich. Denn in Bremen gibt es gerade für Single-Haushalte und Großfamilien kaum billigen Wohnraum – wie eine aktuelle Untersuchung der Solidarischen Hilfe belegt.

Im Januar überprüfte sie fast 1.000 Wohnungsangebote in Bremen auf ihre Hartz IV-Tauglichkeit. Ergebnis: Für ALG II-EmpfängerInnen kamen gerade mal gut 100 davon in Frage. Diese liegen zu drei Vierteln in sozialen Brennpunkten, also etwa in Lüssum, Marssel, Gröpelingen oder Huchting. Weitere 41 Wohnungen sind zum Teil nicht einmal 20 Quadratmeter groß, befinden sich in Uni-Nähe – und sind Studierenden zugedacht. Übrig blieben nicht einmal 20 Wohnungen. Herbert Thomsen von der Solidarischen Hilfe spricht von einem „Drama ohne Ende“, einem „Desaster“.

Auch das Sozialressort hat erkannt, dass es gerade für Single-Haushalte „besonders schwierig“ werden wird, die Mietkosten „innerhalb der vorgesehenen Fristen auf ein angemessenes Niveau zu senken“. So steht es jedenfalls in der Beschlussvorlage für die Sozialdeputation.

Von 6.453 bislang erfassten ALG II-EmpfängerInnen, deren Miete mehr als 20 Prozent über dem liegt, was die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis) zahlen will, lebt fast die Hälfte allein. Durchschnittlich kosten ihre Wohnungen 388 Euro an Kaltmiete und Betriebskosten, zulässig sind 253 Euro. Sie müssen umziehen oder die restliche Miete selbst aufbringen.

Im Januar 2006 verschickte die Bagis die ersten Umzugsaufforderungen, viele weitere werden folgen, wie viele, ist noch unklar. Zum Februar wurden die ersten Mietkürzungen wirksam. Seit dem ersten Quartal 2006 fanden nur 200 Betroffene eine „angemessen“ billige Bleibe. Gerade mal 68 bekamen eine höhere Miete zugestanden. Zu wenig – sagt selbst das Sozialressort: Von den zulässigen Ausnahmetatbeständen werde nicht „in sinnvollem und vertretbarem Umfang Gebrauch gemacht“.

Die Solidarische Hilfe empfiehlt jedem Betroffenen, zu klagen. Die Obergrenzen seien juristisch zum Teil „höchst fraglich“, sagt Thomsen. Er gibt sich optimistisch, dass Bremen den Single-Haushalten 325 Euro an Bruttokaltmiete zugestehen muss. „Aber die Ghettobildung ist damit nicht aufzuhalten.“

Das Sozialressort schlägt unterdessen vor, die Bagis schärfer zu kontrollieren. Außerdem soll eine Servicestelle entstehen, bei der zwei Leute für die Suche nach billigem Wohnraum abgestellt werden. „Ein Ablenkunsgmanöver“, sagt Thomas Beninde vom Verbund der offenen Erwerbslosenberatungen.