TIM CASPAR BOEHME LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Das sehende Wissen der Bilder

Die Sprache ist eine äußerst nützliche Erfindung. Ohne sie hätten nicht nur Journalisten wenig zu melden. Sie ist Bedingung dafür, dass man überhaupt einen Begriff von etwas haben kann, und schafft einen Raum, in dem man sich im Austausch mit anderen auf nichtsprachliche (oder sprachliche) Dinge beziehen kann. Wie das genau funktioniert, ist eine komplizierte Sache: Verweist man mit Worten auf die Welt, oder schaffen Worte erst das, worüber man mit ihnen spricht?

Der Literaturwissenschaftler Armen Avanessian beschäftigt sich in seinem Projekt „Spekulative Poetik“ mit Fragen dieser Art. Ein zentraler Gedanke ist dabei die „Poiesis“, das Hervorbringen von etwas. Genauer gesagt interessiert er sich für die poietische Kraft der Sprache. Denn „Sprache verändert die Welt.“ Insbesondere Literatur könne zu Erfahrungen der „Metanoia“ führen, einer neuen Sicht auf die Welt mit der Folge, dass sich die Dinge durch diese neue Perspektive tatsächlich ändern.

An einer neuen Sicht – das Wort ist hier ganz unmetaphorisch zu verstehen – auf das Denken Avanessians versucht sich jetzt sein gemeinsam mit dem Illustrator Andreas Töpfer entstandenes Buch „Speculative Drawing“ (SternbergPress, 2014). Die beiden arbeiten seit Beginn von Avanessians Projekt zusammen, wobei Töpfer zunächst Plakate für Veranstaltungen illustrierte oder Buchcover gestaltete. Diesmal zeichnet Töpfer ganze 15 Bücher Avanessians und seiner Mitverfasser – Avanessian ist auch eine zentrale Figur des kapitalismuskritischen Akzelerationismus. Die Illustrationen sind, so der Autor, als syntaktisch strukturierte Serien zu lesen, in denen sich ein „sehendes Wissen“ entwickelt.

Das ist praktisch, immerhin hat man so 15 Bücher auf komfortablen 300 Seiten zwischen zwei Buchdeckeln vereint. Allerdings schmälert Avanessian das Vergnügen durch den Hinweis, dass „Speculative Drawing“ nicht als abgekürzte Version der vorgestellten Theorien dient. Die Sache wird in der Tat schwierig, sofern man ernsthaft versuchen sollte, zu verstehen, was diese in ihrer reduzierten, leicht cartoonartigen Ästhetik allemal ansprechenden Bilder eigentlich erzählen. Manches ist schön surreal, die Zeichnungen zum Trost des Horrors zum Beispiel, anderes wirkt erstaunlich vordergründig – etwa die entleerte Bananenhülle, mit der die Vergangenheit dargestellt wird.

Zudem fragt man sich, ob in den Bildern nicht zugleich die Grenzen von Sprache sichtbar werden – selbst wenn Avanessian diesen Ansatz ausdrücklich als überholt ablehnt. Doch so gut die Verständigung in Sprache oft funktioniert, stößt man mitunter an Unsagbares, am Rand des Sinns der Worte Entlanghuschendes, das man verbal nicht in den Griff bekommt. Die „spekulativen Zeichnungen“ erhalten so eine weitere Dimension als eine Art Unbewusstes der zugrunde liegenden Bücher. Oder als kunstvoller Witz.

Tim Caspar Boehme ist ständiger Mitarbeiter der Kulturredaktion