: „Es geht hier um einen Systemfehler“
SOZIALPROTEST Die Agenda 2010 kostet Menschenleben, sagt Michael Fielsch – und protestiert, indem er Kreuze vor Jobcenter platziert
■ ist Aktivist und Initiator der Opferkreuzproteste vor Jobcentern. Er betreibt die Website www.die-opfer-der-agenda-2010.de.
taz: Herr Fielsch, Sie organisieren vor Jobcentern Proteste gegen die Agenda 2010. Was genau kritisieren Sie?
Michael Fielsch: Wir platzieren im Rahmen von polizeilich angemeldeten Kundgebungen Opferkreuze, auf denen die Schicksale von Menschen stehen, die im Zusammenhang mit der Agenda 2010 ums Leben kamen. Mittlerweile konnten wir 40 Fälle mit 54 Opfern im Zusammenhang mit der Agenda 2010 dokumentieren, überwiegend handelt es sich um Suizide. Aber wir erinnern auch an Menschen, die bei Hausbränden ums Leben kamen, die von Kerzen verursacht waren, nachdem in ihren Haushalten Strom und Gas abgestellt wurden. Auch der Rentnerin Rosemarie Fließ gedenken wir, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb. Oder der Jobcenter-Sachbearbeiterin, die von einem Kunden erstochen wurde. Wir erinnern auch an die Mutter, die mit ihrem Sohn in der Wohnung verhungerte, nachdem das Jobcenter die Zahlungen völlig eingestellt hatte.
Ihr Protest ist also vor allem eine Mahnwache für die Opfer?
Ein Großteil der dokumentierten Todesfälle ist, wenn überhaupt, nur regional bekannt geworden und wurden als Einzelschicksale wahrgenommen. Wir wollen mit unserer Aktion zeigen, dass es Tausende Einzelfälle gibt und es nicht um individuelle Schicksale, sondern um einen Systemfehler geht.
Welche Reaktionen erzielen Sie mit Ihren Aktionen?
Der Zuspruch ist groß. Viele Menschen sind erschrocken, wenn sie die Opferkreuze mit den Schicksalen sehen. Die emotionale Wirkung ist auch deshalb hoch, weil es bei der Aktion keinerlei politische Propaganda gibt. Wir wollen die Menschen zum Nachdenken anregen. Es geht um Aufklärung und Bewusstmachung. Die Konsequenzen aus den Informationen muss jeder für sich selber ziehen.
Wer unterstützt Sie?
Eine kleine Gruppe von Mitstreiterinnen und Mitstreitern, die hauptsächlich von der BGE-Lobby kommen, einer Unterstützerorganisation, die sich für das bedingungslose Grundeinkommens engagiert. Wir legen großen Wert auf unsere Unabhängigkeit von politischen Parteien. Bisher haben wir unsere Aktionen hauptsächlich vor Jobcentern und belebten Plätzen in Berlin und Umgebung durchgeführt. Mittlerweile haben wir Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet. INTERVIEW: PETER NOWAK
■ Die Protestaktion findet in der Regel immer freitags statt. Infos und Orte: www.die-opfer-der-agenda-2010.de