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Archiv-Artikel

Die neue Migration

GASTARBEITER Italiener in Deutschland

Eine kalte Sonne steht am Berliner Februarhimmel. „Der Winter hier macht mir am meisten Angst“, sagt Maria. Wenn sie aus ihrem Fenster schaut, sieht sie die Reste der Mauer an der Bernauer Straße. Maria hat einen italienischen Vater, ihre Mutter stammt aus Mozambique. Vor dreißig Jahren ist sie in Crotone geboren, ganz an der Spitze des italienischen Stiefels. In Mailand hat sie studiert, 2003 ist sie ins Veneto nach Treviso gezogen, wo sie einen Job als Brillendesignerin fand. 2007 bekam sie ein Angebot aus Berlin und zog in die deutsche Hauptstadt – wie so viele junge Italienerinnen und Italiener.

15.842 ItalienerInnen sind derzeit in Berlin gemeldet. Etwa 13 Prozent von ihnen kamen ab 2005: in der Mehrzahl Akademiker, die schon im Job standen, die es aber satthatten, jeden Tag gegen ein korruptes System der Abhängigkeiten und Begünstigungen ankämpfen zu müssen.

„Ich bin nicht weggelaufen aus Italien“, sagt Maria. „In Treviso hatte ich eine Karriere vor mir. Aber seit ich hier bin, weiß ich, dass es eine ganz andere Art zu arbeiten gibt. Man vertraut mir in meiner Firma, überträgt mir Verantwortung. In Italien war ich immer nur eine Nummer, jederzeit austauschbar. Und wenn man als Frau in das Alter kommt, wo die Kinderfrage ansteht, bekommt man keinen Job mehr.“

Ähnlich sieht die Sache bei Pietro, 38, Mailänder, aus. Er lebt seit 2006 in Berlin: „Arbeit hätte ich als Architekt auch in Italien gefunden. Nur: Die politische und kulturelle Situation ist einfach unerträglich.“

Was die kulturelle Situation angeht, weiß Filippo Bescheid. Der sizilianische Regisseur und Drehbuchautor wohnt in Prenzlauer Berg und hat 2004 für eine Geschichte über Homosexuelle im italienischen Faschismus den Premio Solinas gewonnen. „Aber im heutigen Italien gibt es keine Aussicht, dass ich aus diesem Buch einen Film machen kann.“

Und wie lebt es sich als Italiener in Deutschland? „In Italien habe ich mich immer als Sonderling gefühlt“, sagt Maria, „aber seit ich hier bin, entdecke ich mein Italienischsein neu – die Spontaneität, eine bestimmte geistige Gewandtheit. Und ich bin stolz darauf.“

RICCARDO VALSECCHI

Übersetzung: Ambros Waibel