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Archiv-Artikel

Rot

2003 Villányi Cabernet Sauvignon „Erste Lese Selection“, Rotwein trocken, Ungarn, Weingut Hummel, 15 Euro

Einem guten Wein zu begegnen ist alles andere als eine verlässliche Angelegenheit. Er schmeckt immer anders. Er kann sich am Morgen abweisend zeigen, am Mittag freundlich, am Abend süffig und in der Nacht berauschend, ganz zu schweigen von unseren Stimmungen und Vorlieben. Hinzu kommt das Entwicklungsstadium des Weins, ein junger hat meist starke Reize und schwankt zwischen Anziehung und Abweisung. Ein gereifter Wein kann dagegen mit einem stimmigeren Geschmacksbild präsent sein. Lebendiger Wein hat eine innere Zeit, die seine Geschichte im Geschmack in Erscheinung bringt, von der Blüte und dem Wachstum der Traube über die Gärung und Reife in Tank, Fass und Flasche bis zum Moment, wo er sich im Glas dem Genuss öffnet. Freilich gibt es auch Weine mit genormtem Geschmack, die weder reifen noch sich entwickeln – dann sollten wir von Getränken sprechen, denn als Wein sind sie tot.

Die „Erste Lese Selection“ aus Südungarn ist das Beispiel für einen wirklich lebendigen Wein. Er kommt von Horst Hummel, einem Berliner Rechtsanwalt, der in Villány ein Weingut besitzt. Sein Cabernet stammt aus dem Jahrgang 2003 und wurde erst jetzt auf Flaschen gefüllt. Er durfte dreißig Monate im Fass reifen, ungewöhnlich lange. Als der Wein im Spätherbst 2003 seine Gärung beendet hatte, habe ich ihn zum ersten Mal gekostet. Da war er eigentlich noch kein Wein, vielmehr ein Verführer, dessen satte Frucht am Gaumen alle Register zog. Ein euphorisierender Trunk aus dem Jahrhundertsommer, in dessen Hitze die Trauben gewachsen waren. Den Wein hatte Hummel direkt aus dem Fass in eine Plastikwasserflasche gefüllt. Er war ganz pur und weder geschwefelt noch gefiltert worden. Dann kam der Winter, und im Februar 2004 ergab eine erneute Fassprobe ein ernüchterndes Bild. Der Wein hatte zwischenzeitlich gelitten und wirkte unruhig, die Säure war zum Vorschein gekommen und dominierte. Am Gaumen blieb ein salziges Gefühl zurück, wie Angstschweiß.

Drei Jahre später ist es ein richtiger Wein geworden. Der erste Schluck ist fast so verführerisch wie im Herbst 2003. Eine schöne Frucht ist zu spüren, und obwohl der Wein trocken ist, schmeckt sie etwas süß. Doch da ist etwas Neues, der Wein wirkt nun vielschichtig strukturiert und elegant. Man ist versucht, die Flasche in einem Zug zu leeren, doch bereits eine Stunde später zeigt er sich ganz anders. Nun spürt man eine markante Frische, die Frucht schmeckt nuancierter und weniger süß. Noch verrückter wird es am nächsten Tag. Jetzt ist es ein delikater Wein, der deutlich zeigt, dass er das Potenzial hat, noch einige Jahre reifen zu können. Am dritten Tag hat er sich noch weiter zurückgezogen. Jetzt braucht man dringend eine Speise dazu. Am vierten Tag ist leider die Flasche leer. Nächstes Jahr im Februar probiere ich ihn wieder.

Speisen: gebratenes Wild, Lamm oder Rind (ohne Tomate)

Bezug: Sonderpreis für taz-Leser: Sechserkarton für 85 Euro frei Haus, der Zwölferkarton für 165 Euro frei Haus. Horst Hummel, Buchholzer Straße 9, 10437 Berlin. Fax (0 30) 44 73 07 60, Fon (0 30) 4 45 34 44, hh@weingut-hummel.com