Die Wende schaffen

BERLINER IN SPANIEN Wie ein Ökoaktivist eine andalusische Gemeinde beim Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit unterstützt

Hartwig Berger kennt Paterna noch aus den 70ern. Damals kam er als Soziologe hierher

VON JÖRN BOEWE
UND JOHANNES SCHULTEN

Gäbe es einen Preis für einfache und doch stimmige Antworten, Hartwig Berger hätte ihn gewonnen: „Um die Energiewende zu schaffen, braucht man die Unterstützung der Menschen. Man muss ihnen zeigen, dass es etwas für sie bringt.“

Das klingt so einfach und stimmig, dass man schon wieder misstrauisch werden könnte. Berger, der in Charlottenburg zu Hause ist, spart sich lange Erklärungen und verweist auf das Restaurant im südspanischen Paterna de Rivera, in dem er an diesem Abend Ende Juni sitzt. 2.000 Euro zahlt der Familienbetrieb jeden Monat für Strom, für knapp 100 Quadratmeter. Das ist eine Menge. Besonders, wenn man bedenkt, dass das Restaurant über wenig zahlungskräftige Kundschaft verfügt: In Paterna de Rivera, einer andalusischen Landgemeinde mit 5.600 Einwohnern, liegt die Arbeitslosigkeit bei 50 Prozent. Drei von vier Jugendlichen sind ohne Job.

Job als Energieberater

Berger hat ein Projekt auf die Beine gestellt, in dem acht junge Leute aus dem Dorf zu Energieberatern ausgebildet werden. Ab September wollen sie privaten Haushalten und kleinen Unternehmen dabei helfen, effizienter mit den kostbaren Ressourcen umzugehen. Das ist auch notwendig: In Spanien sind nicht nur die Einkommen der meisten Menschen im Zuge der Finanzkrise gesunken. Die Strompreise stiegen gleichzeitig so stark an wie in kaum einem anderen EU-Land. „Energiearmut ist hier ein Riesenproblem“, sagt Berger.

Es gibt kein milliardenschweres EU-Förderprogramm, aus dem die Ausbildung der Berater hätte bezahlt werden können. Berger hat es versucht. Knapp 20.o00 Euro brauchte er, vorsichtig geschätzt. „Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen“, sagt er. „Aber so eine kleine Initiative von unten wird in Brüssel nicht ernst genommen.“ 9.000 Euro gab schließlich die grünennahe Heinrich Böll Stiftung, 5.800 Euro die Ludwig-Bölkow-Stiftung, den Rest sollen private Spenden decken. Für die Dauer des Beraterkurses erhalten die fünf Männer und drei Frauen ein kleines Stipendium, ab September müssen die künftigen Kunden für ihr Honorar aufkommen.

Hartwig Berger ist 71 Jahre alt. In den 90ern saß er für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, seit 2002 engagiert er sich beim Verein Ökowerk, der das Naturschutzzentrum am Teufelssee betreibt. Dass jemand in seinem Alter durch die Weltgeschichte tourt, reißt zwar in Zeiten, in denen Rentner Weltkonzerne leiten oder Marathon laufen, niemanden mehr vom Hocker. Aber Berger macht nicht den Eindruck eines Getriebenen, dem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Vielmehr wirkt er wie jemand, der sich gut überlegt hat, was er machen will. „Ich hab mich lange Zeit mit den großen Dingen beschäftigt“, sagt der Mann, der 1970 in Heidelberg im Fach Philosophie über „Erfahrung und Gesellschaftsform“ promovierte.

Sozial und ökologisch

Soziales und Ökologisches zusammen denken, das ist für den Grünen Berger eine Selbstverständlichkeit, anders als für viele seiner Parteifreunde. Das war aber nicht immer so. „In den 70ern habe ich mich vor allem für die Rechte der Arbeitsimmigranten engagiert“, sagt er. „Das Interesse für Ökologie kam Mitte der 80er dazu, mit dem Kampf gegen die Atomkraft.“ Kurioserweise trat damit die soziale Frage in den Hintergrund. Erst in den letzten Jahren, verstärkt seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise nach 2008, wurde ihm bewusst, dass beides nur zusammen angegangen werden kann.

Mitte der 70er Jahre kam Berger aus Heidelberg nach Berlin. Damals gehörte er zum antiautoritären Flügel der Studentenbewegung: „Die K-Gruppen gingen mir auf den Keks“, verriet er der taz vor einigen Jahren. Nach Vorlage seiner Habilitationsschrift über „Untersuchungsmethode und soziale Wirklichkeit“ arbeitete er als Assistent am Institut für Soziologie an der Freien Universität (FU). Und bis heute hat das Nachdenken über grundsätzliche Fragen einen hohen Stellenwert für ihn: „Der lange Schatten des Prometheus“ ist der Titel seines jüngsten Buchs, in dem er über den Umgang des Menschen mit der Energie schreibt. Bergers großes Thema, das er versucht, auch im Kleinen umzusetzen.

„Juan, el Alemán“

Von den frühen 70er Jahren her rührt auch seine Verbindung nach Paterna. Als FU-Soziologe kam er damals zum ersten Mal hierher. Bergers Studie, die 1978 unter dem Titel „Brot für heute, Hunger für morgen“ bei Suhrkamp erschien, sollte zum besseren Verständnis der spanischen Arbeitsmigranten in Deutschland beitragen. Es waren die letzten Jahre der Franco-Diktatur. „Über vieles konnte man nicht offen reden“, erinnert sich der Berliner. Manches aber verstand sich von selbst, auch ohne viele Worte. Die Campesinos aus Paterna waren erbitterte Gegner des Generalissimus in Madrid, geschlagene zwar, aber Gegner. Der linke Soziologe aus Deutschland stand auf derselben Seite wie sie. „Juan, el Alemán“ nannten sie ihn damals, weil ihnen der deutsche Name Hartwig nicht über die Lippen wollte.

„Das war damals ein komplett anderer Ort“, sagt Berger. „Rund die Hälfte der Bewohner waren Analphabeten, es gab keine befestigten Straßen.“ Erst in den 80ern und 90ern zog ein moderater Wohlstand ein. „Natürlich konnten sich die Leute nur billige Elektrogeräte kaufen, mit hohem Verbrauch“, sagt Berger. „Die werden genutzt, solange es geht.“

Bis heute hat hier kaum jemand das Geld, die Stromfresser durch neue und effiziente Geräte zu ersetzen. Trotzdem könnten die meisten Haushalte ihre Energierechnung „locker um 30 bis 50 Prozent reduzieren“. Die Lösungen sind oft simpel: Geräte müssen nicht dauernd im Stand-by-Modus laufen – eine Binsenweisheit, aber auch in Deutschland hat es Jahre gedauert, bis sie sich herumgesprochen hatte. In vielen Haushalten läuft der Fernseher den ganzen Tag im Hintergrund – eine Unsitte aus den Tagen, als der Strom billig war. Viele Haushalte haben laut Berger zudem unvorteilhafte Verträge mit den Stromversorgern, mit zu hoher Grundleistung, die sie nicht brauchen. Erst recht nicht, wenn man öfter mal auf die Klimaanlage verzichtet und stattdessen nachts durchlüftet und tagsüber die Fenster abdunkelt. So wie man es in Al-Andalus vor tausend Jahren machte.

Im Hinterzimmer des Restaurants in Paterna de Rivera sitzt Bergers Kollegin Elisabeth Herrera und arbeitet an der Satzung eines Vereins, der Träger der „Energiekampagne“ werden soll, die Berger und seinem Team vorschwebt: „Wenn es hier gut anläuft, wollen wir die Idee Schritt für Schritt in andere Gemeinden der Region tragen.“ Unterstützer hat er im Rathaus von Paterna und bei der regionalen Leitung der Gewerkschaft Comisiones Obreras. „Nur mit den Großgrundbesitzern arbeiten wir nicht zusammen“, sagt Berger.

Die Niederlage der Republik gegen den Franco-Faschismus ist in Andalusien immer noch präsent. In den 30er Jahren hatten die anarchosyndikalistischen Landarbeiter angefangen, die großen Güter aufzuteilen. Als der General mit seinen Invasionstruppen 1936 aus Marokko herüberkam, wurden ihre Anführer ermordet und die Landreform rückgängig gemacht. In Paterna de Rivera sieht man die Folgen bis heute: 70 Windkraftanlagen stehen auf den umliegenden Hügeln, aber die Gemeinde hat davon nichts: Die Pachtzahlungen, die der Stromkonzern Iberdrola entrichtet, gehen an Großgrundbesitzer.

Bergers engsten Verbündeten sind die jungen Leuten von der Bewegung des 15. Mai, der „15-M“, jener „Indignados“, zu Deutsch: „Empörten“, die in den vergangenen drei Jahren immer wieder in ganz Spanien auf die Straßen gingen, um gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die einfachen Leute zu protestieren. Im März hat sich ein Teil von ihnen in einer eigenen Partei zusammengeschlossen: „Podemos – Wir können“. Bei den Europawahlen im Mai errangen sie aus dem Stand fünf Sitze im Europaparlament. Selbst im entlegenen Provinzdorf Paterna gibt es eine kleine Gruppe, die mit Berger zusammenarbeitet. „Die Podemos-Leute wissen, worum es geht“, sagt der Berliner.

Vielleicht kann Bergers Plan genau deshalb aufgehen. Die jungen Leute, mit denen er sein Vorhaben umsetzt, sind die Nachkommen jener anarchistischen Campesinos, mit denen der junge FU-Soziologe Anfang der 70er Jahre Freundschaft schloss, als die Franco-Diktatur in Agonie lag und das Land vor einem rasanten Modernisierungssprung stand, den sich damals noch niemand ausmalen konnte. Ihre Großeltern haben eine Niederlage erlitten, aber die Enkel sind motiviert, gut ausgebildet und haben Pläne. Es sind kleine Pläne im Moment. Aber sie wissen, worum es geht.