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Archiv-Artikel

Rätselraten um Sprachförderung

Lehrer berichten von verschärften Kriterien. Nur noch die schwächsten zehn Prozent der Kinder hätten ein Recht auf Zusatzunterricht. Die Bildungsbehörde hält das für ein Missverständnis

Von KAIJA KUTTER

In Hamburg gibt es seit anderthalb Jahren ein neues Sprachförderkonzept, das die Schulen verpflichtet, die Kinder „additiv“, sprich im Anschluss an den regulären Unterricht, zu fördern. Das sei „gar nicht so schlecht“, findet eine Lehrerin aus Altona. Den Kindern mache der Förderunterricht Spaß und die Lehrer hätten das Gefühl, dass es etwas bringe. Leider seien jedoch zu Beginn dieses Schuljahres die Kriterien für die Sprachförderung verschärft worden, so dass auch Kinder keinen Anspruch auf Förderung mehr hätten, die das dringend brauchen.

Um festzustellen, welche Kinder Bedarf haben, führen die „Sprachlernkoordinatoren“ der Schulen verschiedene Tests durch, für Vorschulkinder einen Sprachtest, für die älteren Schüler unter anderem die „Hamburger Schreibprobe“ und den „Stolperwörter-Lesetest“, mit denen die Bereiche Lesen, Rechtschreibung und Sprachentwicklung abgefragt werden.

Im ersten Jahr, so die Lehrerin, hätten auch alle jene Schüler einen Anspruch auf Förderung gehabt, die in zwei dieser Bereiche „noch ziemlich unsicher“ sind und auf einer Skala von Null bis Hundert zum unteren Viertel gehören. Seit diesem Schuljahr hingegen hätten nur noch Schüler diesen Anspruch, deren Ergebnisse im Bereich der unteren zehn Prozent liegen. Ein einziges Hintertürchen sei, dass Lehrer auch nach „eigener Einschätzung“ einen Bedarf feststellen können.

Allein an ihrer Schule, ergänzt eine Sprachlernkoordinatorin, sei die Zahl der Förderberechtigten durch die neue Regel von 120 auf 80 Kinder geschrumpft. Wie ihre Altonaer Kollegin will sie anonym bleiben, weil Lehrer nach einer Anweisung der Schulbehörde nicht öffentlich Kritik üben dürfen.

„Das waren zu viele Kinder bei unter 25 Prozent. Deshalb haben sie es auf unter zehn Prozent gesenkt“, sagt eine Schulleiterin. Es sei wie immer, „die Ressourcen werden nicht nach Bedarf verteilt, sondern danach, wie viel da ist.“ Derzeit sei es noch egal, wie viele förderberechtigte Kinder eine Schule melde. Denn für die Dauer von zwei Jahren werden die Förderstunden pauschal nach Sozialindex zugewiesen. Es gebe aber Pläne, diese Mittel anschließend an der Zahl der förderberechtigten Kinder zu orientieren. „Dafür werden die Prozentränge wichtig“.

Die Diagnosebögen der Kinder werden verschlüsselt an das Landesinstitut für Lehrerbildung (LI) weitergereicht. Der taz liegen Kopien des alten und des neuen Schreibens des LI an die Schulen vor, die zeigen, dass von den vormals drei Förderkategorien eine verschwand – eben jene für Schüler, die in zwei Bereichen im unteren Viertel liegen.

Konfrontiert mit diesen Papieren bestätigt Bildungsbehördensprecher Thomas John, dass die Kategorie wegfiel. Man habe sie aber schlicht „mit der ersten Kategorie zusammengefasst“. Nach seiner Aussage haben jetzt die Kinder, die in zwei Bereichen unter 25 Prozent liegen, den gleichen Förderanspruch wie jene, die als „sehr unsicher“ gelten, sprich zu den unteren zehn Prozent gehören. Nur seien sie „nicht mehr extra aufgeführt“. Das werde man den Sprachlernkoordinatoren „jetzt noch einmal vermitteln“, verspricht er.