: Zwei prominente türkische Journalisten inhaftiert
TÜRKEI Regierung Erdogan geht seit Wochen verschärft gegen kritische Medien vor
ISTANBUL taz | Zwei prominente türkische Journalisten sind gestern in den frühen Morgenstunden in Haft genommen worden. Nedim Sener und Ahmet Sik waren am Donnerstag zusammen mit anderen Journalisten im Rahmen einer groß angelegten Polizeirazzia festgenommen worden. Nach mehr als 16 Stunden Vernehmung durch die Sonderstaatsanwaltschaft im Ergenekon-Verfahren, in dem mehr als 200 Leute angeklagt sind, einen Putsch gegen die Regierung vorbereitet zu haben, wurden Nedim Sener und Ahmet Sik gestern formal in Haft genommen.
Manuskript gesucht
Die Inhaftierung von Sener und Sik hat unter Kollegen, aber auch in weiten Teilen der türkischen Öffentlichkeit für heftige Proteste gesorgt. Beide zählen zu den bekanntesten und besten investigativen Journalisten des Landes und haben zahlreiche Preise im In- und Ausland bekommen. Nedim Sener hatte zuletzt mit einem Buch über das Attentat an dem armenischen Journalisten Hrant Dink für Aufsehen gesorgt, in dem er über die Hintermänner in Polizei und Militär berichtete. Bei Ahmet Sik, ebenfalls Autor zahlreicher Hintergrundrecherchen, war im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung ein noch unveröffentlichtes Manuskript über die derzeit einflussreichste islamische Sekte der Türkei, die Gülen-Bewegung, beschlagnahmt worden. Alle Kollegen von Sik gehen davon aus, dass dieses Manuskript der eigentliche Grund für seine Verhaftung ist. Für eine Zusammenarbeit mit angeblichen Putschplanern gibt es dagegen keinerlei Hinweise. Etliche Kollegen hatten aus Solidarität die Nacht vor dem Gericht in Istanbul verbracht, wo Sener und Sik verhört worden waren.
Die Regierung geht offensichtlich verschärft gegen kritische Medien vor. Erst vor drei Wochen wurden die Mitarbeiter einer oppositionellen Online-Redaktion, „odatv“, verhaftet und die Website dichtgemacht. Außerdem lässt die Regierung in großem Stil abhören, was gerade unter Journalisten zu großer Verunsicherung führt. Der größte regierungskritische Medienkonzern, die „Dogan-Mediengruppe“, wird mit offensichtlich politisch motivierten Forderungen der Steuerfahndung konfrontiert, die das Aus für Zeitungen wie Hürriyet und Milliyet bedeuten könnten. JÜRGEN GOTTSCHLICH