: „Du weißt nichts über mich“
Linda Thomas glaubt an die erzieherische Kraft des Putzens. Deshalb gibt sie Kurse, in denen Interessierte einen neue Einstellung zur Hausarbeit gewinnen sollen. Ein Interview mit der obersten Hauswirtschafterin der Anthroposophen
taz: Frau Thomas, wie lernt man, das Putzen zu lieben?
Linda Thomas: Ich habe es lieb gewonnen durch das Tun. Ich habe natürlich, wie viele Menschen in diesem Beruf, eine Identitätskrise gehabt. Er war für mich nämlich weder eine Berufung noch eine besondere Begabung. Damals habe ich realisiert: Entweder lerne ich, das gerne zu haben oder ich schaffe es nicht. Und das habe ich geübt, bis ich es konnte.
Wie das?
Es gibt eine Geschichte von einem Zen-Mönch, der durchs Putzen zum Meditieren gekommen ist, indem er dabei immer einen Spruch gesagt hat wie: Dass ich diesen Teller abwasche, schickt mir ein Engel, um mein Herz rein zu waschen. Das mag sich lustig anhören, aber wenn man in so einem Überlebenskampf steckt, greift man nach einem Strohhalm.
Und was ist nun das Liebenswerte daran?
Das Befriedigende für mich ist, dass man unmittelbar ein Resultat feststellen kann. Und es ist schon eine Dienstleistung, die sehr geschätzt wird. Ich habe das Putzen für mich in Pflegen verwandelt und das hat eine ganz andere Qualität.
Hätten Sie nicht auch eine andere Arbeit finden können, die Sie unmittelbar erfüllt?
Ich musste damals unbedingt Geld verdienen, ich hatte zwei kleine Kinder und jemand hatte mir gesagt: Mach‘doch ein Reinigungsinstitut, das ökologisch putzt. Mein ganzes Wesen hat gesagt: Ja, das machst du. Und deswegen wollte ich nicht einfach aufgeben. Die Krise kam nach sechs Monaten, nach drei Monaten hatte ich sie überwunden. Das ist jetzt 19 Jahre her und ich mache es immer noch gerne.
Was für Leute kommen zu Ihren Workshops?
Ganz verschiedene. Ich bin an Ausbildungsstätten, in Elterngruppen oder bei jungen Müttern, die den Beruf aufgeben mussten. Oder es kommen Männer, die pensioniert werden und nicht immer von ihren Frauen hören möchte, dass sie nicht putzen können.
Sind die Frauen in der Überzahl?
Es kommen auf jeden Fall immer mehr Männer. Es gibt ja mehr alleinerziehende Väter und mehr Männer, die Job-Sharing mit ihren Frauen machen und das Putzen lernen wollen.
Bei Ihnen lernen sie, wie man richtig putzt?
Das lernen sie, aber aber mir geht es auch sehr um die Einstellung dazu: Wie kann man einen tieferen Sinn darin finden? Durchs Putzen und Pflegen haben wir die Natur zur Kultur gehoben und sobald man aufhört damit, gehen wir zurück zur Natur, aber das kann eben auch Verwilderung bedeuten.
Man würde denken, dass in Deutschland die Gefahr eher in der Überbewertung der äußeren Ordnung liegt.
Diese Menschen sehe ich natürlich seltener. Aber Sie haben sicher auch schon vom Vermüllungs-Syndrom gehört und aus meiner Berufserfahrung kann ich sagen, dass es selten irgendwo sauberer ist, als es sein sollte. Man muss einen Mittelweg finden.
Ich finde es erstaunlich, dass Sie sagen, das Putzen würde als Dienstleistung gewürdigt. Bereits das Unwort „Putze“ spricht doch dagegen.
Das hat viel mit den Menschen selber zu tun. Sie haben ein Mangel an Selbstwertgefühl. Neulich habe ich einen Motivationskurs in einem großen Putzinstitut gegeben und als ich dahin kam, standen diese Leute dort völlig zusammen gesunken. Ich dachte mir, ich gehe jetzt zu der Dame, die mich beauftragt hat und im selben Moment fiel mir ein: Du bist eine von denen. Da bin ich umgedreht und habe jedem einzelnen die Hand gegeben. Am Ende des Tages haben wir über die Verzweiflung darüber gesprochen, dass das Leben allein aus Putzen besteht und abends Fernsehen und Bier.
Wie hat man auf Sie als Putzfrau reagiert?
Ich habe oft in Schulen geputzt und die Buben, vor allem die in der Pubertät, haben mir Sachen vor die Füße geschmissen: Du bist die Putzfrau, also tu das. Bis ich eines Tages einen, den ich bei Namen kannte, gerufen habe und ihm sagte: Du weißt überhaupt gar nichts über mich. Nicht wie ich heiße, nicht, warum ich putze. Aber ich weiß viel über dich, allein durch die Art, wie durch mich behandelst. Drei Jahre später ist dieser junge Mann zu mir gekommen und hat angefangen, als Studentenjob zu putzen. INTERVIEW: GRÄ
Am heutigen Samstag gibt Linda Thomas im Hamburger Rudolf Steiner Haus den Workshop „Soziale Kompetenz durch Hausarbeit“