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Archiv-Artikel

Der Selbsthass erstickt in gegeigter Melancholie

Thriller sehen anders aus: Robert De Niros CIA-Film „Der gute Hirte“ (Wettbewerb) langweilt sogar mit den raren potenziell fesselnden Sequenzen

Der junge Mann liebt es, selbstgebaute Modellschiffchen in Glasflaschen zu bugsieren. Er trägt biedere Brillen und einen Kurzhaarschnitt, lächelt nur selten und trägt gerne Grau: Edward Wilson ist eine farblose Erscheinung. Männer wie er sind die besten Agenten. Mag sein. Im Kino gilt das allerdings nicht. Da ist es kein Schaden, wenn man Aufsehen erregt. Figuren, die man schon wieder vergessen hat, während man sie noch im Auge hat, tun sich dort schwer.

Der Schauspieler Matt Damon wirkt in Robert De Niros „Der gute Hirte“ noch tiefer in sich zurückgezogen als zuletzt in Scorseses „The Departed – Unter Feinden“. Und das will was heißen: Als CIA-Agent, der wegen seiner Geheimdiensttätigkeiten sein eigenes Leben verpasst, kann Damon in diesem Film gute 150 Minuten lang kein Interesse für sich wecken. Keine gute Basis für ein Menschendrama, das um Schuld, Politik und Liebe kreist. Edward Wilson, vage orientiert am CIA-Paranoiker James Jesus Angleton, ist ein gemachter Geheimbündler: Vom männerbündischen Verbindungsstudenten wird er nach dem Krieg postwendend zum CIA-Agenten.

In seinem Titel verweist „Der gute Hirte“ auf das Johannes-Evangelium: Wer die Bibel zitiert, um im Kino Distinktionsgewinne einzufahren, muss sich das aber erst mal leisten können. Nur die Pose des Salbungsvollen reicht da nicht. Leider ist De Niros zweite Regiearbeit nach der Schmalspur-Scorsese-Stilübung „In den Straßen der Bronx“ (1993) aber vor allem dies: humorlos, förmlich, gedämpft. De Niro entwirft eine Welt der absehbaren nachrichtendienstlichen Begleiterscheinungen: Codewörter, Vertrauensbrüche, mörderische Heimlichkeiten.

Dabei ist „Der gute Hirte“ ultrakonventionell gebaut, mit einem Antihelden, der zum Opfer kindlicher Traumata erklärt wird und ein übergroßes Pflichtbewusstsein hat. Wie bei allen neueren „Qualitätsdramen“ Hollywoods wird diese schlichte Psychologisierung überzogen von melancholischen Piano- und Violinenklängen. Das Porträt eines über die Jahrzehnte wachsenden Selbsthasses, der sich in Damons Darstellung fallweise andeutet, findet in den erstickten Tonfällen dieser Inszenierung kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Thriller sehen anders aus.

Zu den konzeptuellen Schwachstellen gesellen sich die Castingprobleme: Matt Damon etwa sieht, abgesehen von der formvollendeten Passivität seines Spiels, als Vater eines erwachsenen Sohnes wie dessen großer Bruder aus. Und wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, die energische Angelina Jolie als in der Ehehölle mit dem verstockten Damon vor der Zeit welkende Hausfrau einzusetzen? Die Paarung klingt vor allem wie ein statistisch errechneter „Besetzungscoup“.

So sind die Freuden, die dieser Film zu bereiten weiß, denkbar dünn gesät: Der große Joe Pesci absolviert hier nach acht Jahren Kinoabstinenz einen Kurzauftritt, und Martina Gedeck hat, wie auch De Niro selbst, eine der vielen flüchtigen Nebenrollen. Eine der wenigen potenziell fesselnden Sequenzen – die Detailanalyse eines unscharfen Bilddokuments und einer verrauschten Tonaufnahme – gerät im Zugriff De Niros aber unrealistisch hochtechnologisch und erscheint im überdeutlichen Verweis auf Antonionis „Blow Up“ noch schwächer, als sie ist.

Natürlich finden sich in „Der gute Hirte“ nebenbei auch ein paar Kommentare zur Stimmungslage der Weltpolizei USA: Aber De Niros stille Echos auf Bushs „Krieg gegen den Terror“ können den Eindruck des Verlusts jeder künstlerischen Gegenwärtigkeit nicht wettmachen. So legt „Der gute Hirte“ in seiner Monotonie und formalen Konventionentreue einen neuen Deutungsvorschlag des Kürzels CIA nahe: Cinematic Intelligence Aversion.

STEFAN GRISSEMANN

„Der gute Hirte“. Regie: Robert De Niro. Mit Matt Damon, Angelina Jolie, Alec Baldwin. USA 2006, 167 Min.; 10. 2., 11.30 und 19 Uhr, Berlinale Palast; 11. 2., 15 Uhr, Urania, und 22.30 Uhr, International