Mord nach Muster : KOMMENTAR von STEFAN REINECKE
Ein junger Mann geht bis an die Zähne bewaffnet in seine frühere Schule. Er hat sich mit Sprengstoff ausgerüstet und will töten. Zu Amokläufen wie gestern in Emsdetten kommt es immer wieder. Sie geschehen oft in kleineren, beschaulichen, friedlichen Städten. Die Täter sind häufig Schulversager. Doch die Amokläufer sind kein Unterschichtsphänomen. In Erfurt ermordete vor vier Jahren ein Gymnasiast aus gutem Hause 17 Menschen.
Fast immer töten die Amokläufer sich am Ende selbst. Fast immer sind sie Waffenfetischisten, die mit der Tat ihre Minderwertigkeitsgefühle kompensieren. „Ich will, dass sich mein Gesicht in eure Köpfe einbrennt!“, schrieb Bastian B. in seinem Abschiedsbrief. Und immer sind Amokläufer Männer. So sieht das Muster aus. So viel wissen wir – viel mehr nicht.
Dass gestern in Emsdetten kein Massenmord geschah, dass es nur Verletzte gab, war wohl Zufall. Der Emsdettener Amokläufer war ein Einzelgänger, cholerisch und gewalttätig. Und offenbar ein Konsument von Gewalt-Computerspielen. Auch das passt in unser Bild von solchen Tätern. Aber es erklärt nicht viel. Es gibt viele, die sich in der Schule als Verlierer und Außenseiter fühlen und Counterstrike spielen – und denen es trotzdem nicht im Traum einfällt, sich wie ein Selbstmordattentäter mit Sprengstoff auszustaffieren.
Die kulturpessimistische Klage über Computerspiele und Gewaltmedien, die stets nach solchen Taten anhebt, dient vor allem der Selbstberuhigung: Sie macht das schwer Fassbare und kaum Erklärbare handhabbar. Es hilft, wenn man einen Schuldigen dingfest machen kann und die rätselhafte Tat in eine Abfolge von Ursache und Wirkung einfügen kann. So ordnet man das Unverständliche ein – doch zu mehr Verständnis führt das kaum. Amokläufe gab es schon vor der Erfindung von Computerspielen – ein Zusammenhang zwischen Amoklauf und Mediennutzung ist nirgends nachgewiesen.
Verstörend ist der Abschiedsbrief von Bastian B.: Er zeugt nicht nur von Verliererfrust, sondern auch von einer kalten, nihilistischen Wut auf die normale Gesellschaft, auf uns. Und er enthält eine fast ironische Pointe. Schuld am üblen Zustand der Welt, da war sich Bastian B. sicher, sind „die Medien“.