Abgeschnittenes Fotofestival

PRIVATISIERUNG Die „Rencontres d’Arles“, das renommierte Fotofestival, sehen sich in Bedrängnis, denn sie verlieren Ausstellungshallen an die Schweizer Luma Stiftung

Hotels, Bars und Bankgebäude stehen leer. Die Zeit ist gut für potente Spekulanten

VON GISLIND NABAKOWSKI

Arles gilt als das älteste Fotofestival der Welt, das 1969, in Zeiten, als in Europa internationale Fotografie noch nicht als Kunst angesehen war, zunächst zum Austausch für Insider gegründet wurde. Aus den avantgardistischen Debattenanfängen kennen viele noch den Namen. Als das Festival 2001 mit 450.000 Euro im Defizit war, berief man François Hébel, einst Direktor der populären Bildagentur Magnum, zum Leiter. Die Besucherzahl von damals 9.000 hatte er bis 2009 auf 72.000 und 2013 auf 96.000 gesteigert.

Der begnadete Organisator erschloss für die Fotoausstellungen Hangars, die von der französischen Staatsbahn SNCF verlassen worden waren, dazu machte er die Stadt mit ihren antiken und mittelalterlichen Bauten zu einer einzigen Bühne für die Fotografie. In guten Jahren setzte das Fotofestival, das sich inzwischen „Les Rencontres d’Arles“ nennt, Schwerpunkte für den Fotografiediskurs. In schlechten Jahren zerriss es sich zwischen populärer Zerstreuung und Profi-Engführung. Einer grellbunten Popkrake gleich wucherte es dann richtungslos. Immerhin bescherte es dem verarmten Ort in der Provence mit rund 54.000 Einwohnern stets einen sommerlichen Geldregen und Arbeitsplätze im Hotel- und Gastgewerbe wie beim Festival selbst.

Der Chef kündigt

Im November letzten Jahres allerdings kündigten der erfolgreiche Festivalchef und der Präsident resigniert ihre Posten. Gründe sind schwer zu recherchieren. Klar ist nur: Das SNCF-Gelände steht dem Festival nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Die Schweizer Pharma-Großerbin Maja Hoffmann hatte 2007 verkündet, Stararchitekt Frank Gehry werde für ihre private Luma Stiftung für Kunst und Umweltschutz auf dem ehemaligen Bahngelände einen 56 Meter hohen Turm errichten. Der Stadt versprach sie ein 150-Millionen-Euro-Investment mit glamourösem „Bilbao-Effekt“, dem Festival die sommerliche Verfügung über die Hangars.

Doch dann musste Frank Gehry nach dem Einwand des Denkmalschutzes, der Architekt missachte die lokalen Besonderheiten, sein Neubaumodell und den Standort ändern. Die Bauherrin reagierte unwirsch. Kurz bevor sie 2013 den Kaufvertrag signierte, nahm sie, so der Festivalchef, die Zusage der Hallennutzung zurück. Ironie: François Hébel hatte sich die Milliardärin einst als vermeintlich philanthropische Mäzenin seiner Unternehmung selbst ins Boot geholt. Nun wirft er ihr vor, das Fotofestival niederhalten zu wollen.

Private-Public-Partnership

Dass die Milliardärin für das Grundstück einen viel „zu bescheidenen Preis“ zahlte, denkt der Pariser Onlinedienst Mediapart. Cyril Juglaret, oppositioneller UMP-Politiker in Arles’ Rathaus (27,19 Prozent), zitiert ihn auf seiner Website. Allein in die „Grande Halle“ auf dem 81.000 Quadratmeter großen Terrain, das die Mäzenin für 11 Millionen Euro an sich zog, seien schon 20 Millionen Euro öffentliche Gelder für die Renovierung geflossen.

Außer mit dem Fotofestival argumentiert Arles schon lange mit dem Mythos van Gogh für sich. Nur 444 Tage, von 1888 bis 1889 lebte der große Maler in Arles. Schon damals suchten Lokalzeitungen mit Übertreibungen den Konsens mit der kleinbürgerlichen Leserschaft. Bekannt ist, was dabei herauskam: Legenden über Künstlergenie und ein „im Wahnsinn“ angeblich „abgeschnittenes Ohr“, Armut und Einsamkeit.

Im 20. Jahrhundert erzielten seine Gemälde dann Auktionsrekorde. Der Künstler wurde zum Popstar und Dauerbrenner der Arleser Tourismuswerbung. Diese Marke gilt es wie eine Goldmine zu nutzen, und mit der Rede etwa von „van Goghs Licht“, das nur in Arles wiederzufinden sei, zieht man dann auch wirklich die Touristenschwärme an.

Van Gogh live!

Etwa 1,5 Millionen von ihnen kommen jedes Jahr nach Arles. Sie werden nach dem globalisierungsbedingten industriellen Niedergang der Stadt dringend gebraucht. 2013 betrug die Arbeitslosenquote 15 Prozent. Der durchschnittliche Haushalt verfügt im Monat nur über 1.622 Euro netto. Der Ewigbürgermeister der Kommunistischen Partei (PC) erhielt bei der letzten Wahl eine Mehrheit von 46,13 Prozent. Aber schon sitzt auch der Front National mit 26,67 Prozent im Rathaus. Hotels, Bars und Bankgebäude stehen leer. Die Zeit ist gut für potente Spekulanten.

Als solchen darf man Maja Hoffmanns uralten Papa Luc sehen, selbst wenn er sich vordergründig mäzenatisch darstellt. Der bekannte Ornithologe, der die Camargue-Flamingos vor dem Aussterben rettete, sorgte auch für seine direkten Familienvögelchen liebevoll vor: über seine Familienstiftung Fondation Vincent van Gogh. Seit diesem Sommer residiert sie im aufwendig für 11 Millionen Euro restaurierten Hôtel Léautaud de Donines, einem Palais aus dem 15. Jahrhundert, der zuvor der Banque de France gehörte. Bei der Eröffnung trugen betagte VIPs wie im Popkonzert himmelblaue Bändchen mit dem Motto „Van Gogh live!“ um die Handgelenke. Kuratorin der Stiftung, die nun Schlangen von Arles-Touristen in ihre teuren Hallen zieht, ist die Schweizerin Bice Curiger, 2011 Direktorin der Biennale von Venedig. Der „Indoor Van Gogh Altar“ des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn – ein Auftragswerk – fühlt sich angeblich in die Wirklichkeit eines weiblichen Teenagers aus Japan ein: Die Wände in dem mit Gogh-Nippes, Krempel und Plastik sentimental überhäuften Parkettsaal sind wie Warhols Factory mit Alufolie dekoriert. Zur Erbauung kann man im Foyer natürlich die Bücher derer kaufen, die über eine solche Industrie sehr kritisch schrieben: Walter Benjamin, Derrida, Adorno, Guy Debord u. v. m.

■ „Les Rencontres d’Arles 2014“, bis 21. September, www.rencontres-arles.com