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Archiv-Artikel

Stationen einer Odyssee

Nach etlichen Fluchtstationen droht der fünfköpfigen Familie Azizi die Abschiebung nach Afghanistan. Es wäre die erste Abschiebung einer Familie mit schulpflichtigen Kinder in das kriegsgeschüttelte Land

Von Jan Freitag

Vielleicht trifft das Wort „Odyssee“ nicht ganz das, was die Familie Azizi seit 20 Jahren durchmacht. Vielleicht ist der Begriff zu groß für die Stationen Kabul, Iran, Russland, Hamburg, Norwegen, wieder Hamburg und womöglich zurück nach Afghanistan. In ein Land, das den fünf Angehörigen der tadschikischen Minderheit fremd ist. Allerdings: Irrfahrt, Reise, Route klingen auch nicht passend für eine Fluchtgeschichte dieser Art.

Mit ihrem jüngsten Sohn waren Shrife und Abrahim Azizi einst aus der umkämpften Heimat Richtung Westen aufgebrochen. 14 Jahre, zwei Länder und zwei Kinder später landeten sie in Hamburg. Um dort zu bleiben, zu wohnen, zu arbeiten. Sie erhielten Pässe, der Vater fand Arbeit im Hotel, jedes Kind eine Schule und alle eine Wohnung in Eimsbüttel. Das war im Juni 2001. Wenn ihr jüngster Sohn Roman jetzt davon berichtet, sitzt er auf dem tristen Hausflur eines Erstaufnahmelagers. Auf Abruf.

Der 16-Jährige darf nicht arbeiten, er darf das Haus nicht verlassen, er darf nicht mal Gäste mit aufs Zimmer nehmen, das er sich mit zwei Personen und einer Matratze voller gepackter Koffer teilt. Dann eilt der Wachmann herüber und bittet Roman freundlich aber bestimmt, zu bleiben, wo er ist. Die Vorschriften. Doch Roman ist ohnehin nicht darauf aus, den zehn Quadratmeter kleinen Verschlag mit vier Betten, viel Neonlicht und einer Aussicht auf verschneite Tischtennisplatten vorzuzeigen.

Also nur ein hastiger Blick hinein, wo seine Mutter ins Leere starrt und leise wimmert. Zurück auf dem Flur erzählt er von ihrem Kreislaufkollaps, vom Nierenleiden seiner Schwester und vonseinem Vater, der mit Romans Bruder in Abschiebehaft sitzt und somit ein Novum deutscher Abschiebepolitik bildet: Zum ersten Mal soll eine Familie mit schulpflichtigen Kindern ins bürgerkriegsgeschüttelte Afghanistan rückgeführt werden.

Völlig legal, betont Norbert Smekal vom Einwohnerzentralamt, „schließlich gibt es ausländerrechtlich keine Möglichkeit zum Verbleib“. Nicht nur moralisch bedenklich, befindet dagegen Rechtsanwalt Thorsten Buschbeck angesichts der unsicheren Lage im Zielland, den Integrationserfolgen seiner Mandanten, ihren krankheitsbedingten Reisehindernissen. Unvorstellbar, meint Roman Azizi. „Ich liebe Afghanistan“, sagt er nahezu akzentfrei über das Land seiner Eltern, „aber ich kenne es nicht.“

Das tut niemand. Nicht Abrahim und Shrife mit ihren verschütteten Erinnerungen, nicht die Grundschülerin Mariam, vor acht Jahren in Moskau geboren, nicht ihr Bruder Ramin, der die erste Flucht kaum wahrnehmen konnte, nicht Roman, für den Kabul nur eine Erzählung ist. Verwandte, Freunde, Perspektiven gibt es nicht in der fernen Hauptstadt. Als der Senat im vorigen Herbst mit der Drohung Ernst machte, seinen Stufenplan zur vollständigen Abschiebung afghanischer Flüchtlinge voranzutreiben, floh die plötzlich nur noch geduldete Familie mit dem Auto nach Oslo. Vorige Woche nun schickten sie die dortigen Behörden zurück – ins Fuhlsbüttler Erstaufnahmelager die einen, in Haft die anderen.

Nur per Eilpetition konnte Thorsten Buschbeck am Donnerstag verhindern, dass die Familie über Berlin direkt nach Kabul ausgeflogen wurde. Jetzt hofft er auf die Härtefallkommission, an die der Fall gestern Abend verwiesen wurde. Bereits heute jedoch endet die Duldung. Und dann? Einen Asylfolgeantrag, nachdem der erste negativ beschieden wurde, hält Buschbeck ebenso für denkbar wie Duldungsverlängerung oder humanitäres Bleiberecht – „aber es wird nicht einfach“. Denn Hamburg, dafür ist die Hansestadt bundesweit bekannt, spielt bei der Abschiebung von Flüchtlingen stets den Vorreiter.