: Leipziger Allerlei
Erfahrene Hooligans stiften gewaltbereite junge Ultras zu einer Schlacht gegen Polizisten an. Die Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig gerät nach der Randale vom Samstag in den Fokus
VON ANDREAS RÜTTENAUERUND MARKUS VÖLKER
Es ist gar nicht so lange her, da gab sich Lokomotive Leipzig als trendiger Event-Club aus. Im Nirgendwo des Leipziger Ligabetriebs feierte der Traditionsverein seine Happenings mit Größen der Fußballszene – unter anderem mit Lothar Matthäus. Der Verein war nach Jahren der Misswirtschaft am Boden, aber er hatte immer noch seine Tradition, seinen Namen – kurzzeitig war er umbenannt in VfB Leipzig – und seine Fans, einige tausend.
Damals wurde sehr positiv über Lok Leipzig berichtet. Ein Verein sei das, der das Beste aus seiner vertrackten Lage mache, der sich nicht unterkriegen lasse. Man unterhielt sogar Kontakt zur linksalternativen englischen Fanszene. Der FC United of Manchester traute sich trotz einiger Befürchtungen („Da gibt es doch Glatzen!“) nach Leipzig. Neulich stellte sich auch der Pressesprecher Loks, Matthias Löffler, in der taz vor und outete sich als Leser der Leibesübungen. Löffler erzählte viel von den Plänen seines Vereins. Nach einer Stunde war er immer noch nicht fertig. Wir sprachen mit Löffler auch über die Fanszene. Der Sportstudent räumte ein, dass es Probleme „mit den jungen Kerlen“ gebe, die bei den Lok-Ultras Unterschlupf fänden und kaum zu kontrollieren seien, nicht von der Black Rainbow Security, die im baufälligen Bruno-Plache-Stadion Dienst tut, und auch nicht vom Hooligan-erfahrenen Präsidenten Steffen Kubald, der diese Gruppe kaum erreiche.
Vor allem wenn Derbys anstehen, sei die Fanszene bei Lok kaum noch zu beherrschen, sagt ein Beobachter der Leipziger Fanszene. Hooligans, die schon zu DDR-Zeiten kräftig zugeschlagen hätten, würden zu diesen Anlässen auftauchen und sich mit der Ultra-Szene, in der vor allem junge Fans zwischen 15 und 25 Jahren organisiert seien, verbünden. Das alles finde, so der Beobachter, der auch aus Angst um seine eigene Sicherheit nicht genannt werden möchte, vor dem Hintergrund einer voranschreitenden Politisierung der Anhängerschaft statt. Ein Aufnäher in Form eines Reichsadlers aus der NS-Zeit, bei dem das Hakenkreuz durch das Emblem von Lok ersetzt ist, ist immer häufiger zu sehen bei den Stammgästen der Kurve. „Lok hat nicht nur ein Hooligan-Problem“, sagt Matthias Bettag vom alternativen Bündnis aktiver Fußball-Fans (Baff), „Lok hat auch ein Nazi-Problem.“ Das zeigte sich auch, als die Ultra-Gruppierung „Blue Side Lok“ vor Monaten auf den Rängen ein Hakenkreuz aus Leibern bildete.
Wie groß das Problem von Lok Leipzig mit dem gewaltbereiten Umfeld ist, zeigte sich am Samstag nach dem Spiel des Sechstligisten gegen die zweite Mannschaft von Erzgebirge Aue im sächsischen Landespokal. Über 5.000 Zuschauer hatten sich im Stadion eingefunden. Das Spiel des Sechstligisten aus Leipzig gegen den Fünftligisten aus dem Erzgebirge hat nicht nur die Lok-Fans mobilisiert. Zum sportlich vergleichsweise unbedeutenden Pokalspiel reisten weit mehr Aue-Anhänger an als zum Spiel der ersten Mannschaft in der zweiten Bundesliga nach Fürth. 300 Auer waren am Samstag in Leipzig. Auch die Polizei schickte 300 Einsatzkräfte zum Stadion. Sie war sich der Brisanz des Duells bewusst. Die Lok-Fans sind den Auern seit eh und je in innigem Hass verbunden. „Juden Aue!“, skandierten Leipziger Fans schon, als sich die beiden Mannschaften noch in der DDR-Oberliga begegneten. Am Samstag taten sie es wieder. Die Auer reagierten heftig. Rauchbomben und bengalische Feuer flogen in Richtung Lok-Kurve. Das Spiel musste mehrmals unterbrochen werden. Präsident Kubald versuchte zu vermitteln, aber die Stimmung heizte sich auf. Die Polizei schoss Gaspatronen auf die Anhänger ab, die auf die Zäune geklettert waren.
Am Ende hatte Lok 0:3 verloren, aber das war längst nebensächlich. Schon vor dem Abpfiff, so ein Augenzeuge, formierten sich Gruppierungen am Stadionausgang. Nur fünf Minuten nach dem Ende der Partie flogen Steine. „Es herrschte eine regelrechte Lynchatmosphäre“, schildert ein Augenzeuge die Vorgänge. Die Polizei, traditionell Feindbild der Lok-Anhänger, habe eher defensiv agiert. Die Angriffe, bei denen die Alt-Hooligans die jungen Ultras wie Offiziere ihre Soldaten in den Kampf geschickt hätten, seien dagegen „überaus heftig“ gewesen. Nach der Randale stehen nun offenbar weitere Festnahmen bevor.
Die fünf am Samstag vorläufig festgenommenen Personen kamen am Sonntag wieder auf freien Fuß, weil die Staatsanwaltschaft keine Haftbefehle gegen sie beantragte. Laut Polizeirat Mario Luda werde „intensiv ermittelt“, weitere Straftäter sind ins Visier der 13-köpfigen Sonderkommission „Fußball“ gekommen. Derzeit wird Videomaterial gesichtet, szenekundige Beamte ermitteln im Umfeld. Gefordert ist nach Ansicht der Polizei nun auch der Verein. „Wir hoffen, dass die Vereinsführung erkennt, dass es notwendig ist, richtig mit uns zusammenzuarbeiten“, sagte Luda. Insgesamt wurden 36 Polizisten sowie sechs Zivilpersonen verletzt und 21 Fahrzeuge beschädigt. Ein Zivilbeamter musste in Notlage sogar einen Warnschuss abgeben.
Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) forderte mittlerweile „deutlichere Signale“. Er werde mit der Polizei und den Ministerien für Justiz, Sport und Soziales erörtern, was die Politik tun könne. Das Problem habe eine neue Qualität bekommen. „Mir reicht es nicht, wenn sich die Verantwortlichen der Vereine jedes Mal nach solchen Ereignissen lediglich distanzieren. Ich werde keine italienischen Verhältnisse in und um die sächsischen Stadien zulassen.“
Vorstand und Aufsichtsrat des Leipziger Traditionsvereins verurteilten die Vorkommnisse. In einer Pressemitteilung hieß es, der Verein werde „die Behörden bei der Suche der Schuldigen in vollem Umfang unterstützen, damit diese zur Rechenschaft gezogen werden können“. Zudem denken Vorstand und Aufsichtsrat über „mögliche Konsequenzen bezüglich ihrer Ämter nach“.
Leicht dürfte es nicht sein, den Klub durch die nahe Zukunft zu führen. Sollte, was nach dem aktuellen Tabellenstand kaum einer anzweifelt, der Aufstieg in die Landesliga gelingen, dann stehen im nächsten Jahr zahlreiche brisante Derby an – gegen die Reserve des Chemnitzer FC oder von Dynamo Dresden. Mit der Niederlage von Lok am Samstag ist immerhin das größte aller möglichen Hassduelle verhindert worden. Bei einem Sieg wäre Lok auf Sachsen Leipzig, ehemals Chemie Leipzig, getroffen, den Erzfeind.