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Archiv-Artikel

Berliner Ökonomie Biopolitik im Weichbild der Stadt

Nicht sesshaft sein – und doch geschützt: Bodyguards sind eine „gated community“ für unterwegs

Wegen der steigenden Diskriminierung der Roma und Sinti – vor allem in den nun zur EU gehörenden Ländern des Ostblocks – wandern immer mehr von ihnen in den Westen aus. Allein in Tschechien beantragten insgesamt mehr als 10.000 slowakische Roma Asyl. Darüber hinaus haben verschiedene Roma-Organisationen den Gedanken einer vom Zionismus inspirierten „Roma-Nation“ wieder aufgegriffen, der bereits auf ihrem ersten „Weltkongress der Roma“ in London 1971 diskutiert wurde. Wobei sie für sich allerdings einen „nicht-territorialen Roma-Staat“ reklamieren.

Mit dieser Idee sind sie abermals die Avantgarde im Nomadismus. Während die alten (viehzüchterischen) Nomaden fast immer Territorien gegeneinander abgrenzten, bewegen sich die neuen Migranten noch wie die Sesshaften von A nach B. Und beide hadern über kurz oder lang mit der globalen Verwandlung von Land in Immobilien. In Bombay müssen selbst die Obdachlosen für ihren Platz auf dem Straßenpflaster zahlen – an den weggezogenen „Vormieter“, an Polizisten und/oder Straßengangs. In vielen afrikanischen und südamerikanischen Megastädten, aber auch in Istanbul, zählen neue Slums inzwischen zu den einträglichsten Spekulationsobjekten. Auch anderswo geben die Bürger ihre Stadt auf, nicht nur wie in den USA, indem sie an die Ränder ziehen und das Zentrum zum Slum werden lassen: zu „Hyperghettos“, wie der Stadtforscher Loïc Wacquant sie nennt.

Zugleich mauern sich in immer mehr Städten Europas, Asiens und Afrikas die Reichen in „gated communities“ ein. In China und Kalifornien gibt es ganze „gated cities“. In Berlin machten die „Immobilienentwickler“ Fürst Ferdinand von Bismarck und Rechtsanwalt Nicolai A. Siddig zusammen mit der Bayern-Hypo-Banktochter Hyporeal damit als erste Ernst: indem sie den Bau eines Golf- und Countryclubs am Seddinsee mit der Errichtung einer Reihe von Villen im französischen Landhausstil verknüpften.

Noch vor ihrer Fertigstellung frohlockte Geschäftsführer Siddig: „Die größten Steuerzahler Berlins sind schon hier.“ Die reichen „Dahlemer“ taten das nicht wegen des „teuersten Vorgartens“, den die Investoren vor ihren Türen planten, sondern „vor allem – wegen der DSW“: ein renommierter Düsseldorfer Wachdienst, der eine sichere Rund-um-Betreuung des Areals garantiert. Inzwischen gibt es in und um Berlin noch mehr „gated communities“ – bis hin zu einzelnen pionierhaft vorstoßenden Immobilienobjekten mitten in „Problembezirken“ wie Kreuzberg, die einer kolonialen „Festung“ auf indigenem Feindesland gleichen (sollen). Umgekehrt sah ich neulich, wie trotz der Kälte die Penner im U-Bahnhof Hallesches Tor von kräftigen BVG-Wachschützern auf die Straße geworfen wurden.

Die US-Bürger sind gerade dabei, aus solchen und ähnlichen Privatpolizisten ein schickes Accessoire zu machen: Bodyguards sind in! Das merkt man nicht nur daran, dass sie in Berlin über viele „Diskotheken“ hinweg kriminelle Netzwerke bilden, die mit Fitnessstudios, Saunen, Bordellen usw. verknüpft sind. Als Laie erkennt man sie heute vor allem am Knopf im Ohr, am kurzen Haarschnitt und dem dunklen Anzug (im Sommer dunkle Tonton-Macoute-Sonnenbrillen). Inzwischen taucht sogar das „Nacktmodell“ Djamila Rowe, das den Schweizer Botschafter kippte und laut Wikipedia „der heimliche Star der Berlinale 2005“ war, in den Berliner Clubs mit einem Bodyguard auf.

Zur Berlinale 2007 wirbt jetzt die Telekom mit demselben Image: Blondine, umgeben von dunklen Bodyguards. Bei den „Prominenten“ gehören dann noch Betreuer, Manager, Masseur etc. dazu sowie – ganz wichtig – ein „Sprecher“. Sogar der Wiesbadener Arbeitslose Henrico Frank hatte plötzlich eine „Sprecherin“. Auch dieser Beruf hat Konjunktur – gerade in Berlin gibt es viele „Kunstprojekte“, an denen bereits mehr „Pressesprecher“ als Künstler mitwirken. Und ganze „Filmteams“, die man für Partys mieten kann, wo sie dann die Räume ausleuchten und die Gäste filmen – ohne dabei etwas aufzunehmen.

Vor einiger Zeit geriet ich in eine Party, auf der Michel Friedman Gast war – mit gleich zwei Bodyguards. Als er einen Anruf bekam, trat er mit seinem Handy auf einen großen Teppich, der in der Mitte des Raumes lag. Seine Bodyguards blieben am Rand stehen – während er telefonierend auf und ab ging. Die halbe Party konzentrierte daraufhin ihre zerstreute Aufmerksamkeit auf diese Teppichszene, viele rückten langsam näher und fragten sich, ob bzw. wann die Bodyguards am Teppichrand mit auf und abgehen würden – zur Sicherheit. Schon engagieren Steglitzer Gymnasiastinnen die in sie am meisten verliebten Mitschüler als Bodyguards – ohne was dafür zu zahlen: „Nein, ich will nicht mit dir gehen, aber du kannst mein Bodyguard sein.“ Wenn sie dergestalt nächtens zu mehreren unterwegs sind, bekommt man einen flüchtigen Eindruck, wie ein „nicht-territorialer Staat“ im Kleinen hier aussehen könnte.

HELMUT HÖGE